Rezension

Lucy Schröder macht kindliche Ehrlichkeit und Eigensinn wieder salonfähig

Lucy Schröders gesammelte Wahrheiten
von Susann Rehlein

Inhalt:

Lucy Schröder entwirft Schneekugeln, meidet Körperhygiene, lässt sich Essen liefern und hat eine bemerkenswerte Perfektion entwickelt, sich ihre Mitmenschen vom Hals zu halten. Denn sie will nur eines – ihre Ruhe. Das wiederum gefällt ihrem Therapeuten Pawel gar nicht und stellt ihr eine erschreckende Wahl. Entweder sie mischt sich unters Volk oder die Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung droht.

Lucy gibt sich geschlagen und ihr Weg führt sie direkt in ein Kaufhaus, dessen Zustand besorgniserregend ist. Das sieht nicht nur Lucy so, sondern auch der verantwortliche Direktor und stellt sie prompt als Beraterin ein. Lucy krempelt nicht nur das Kaufhaus, sondern auch ihr eigenes Leben um und findet plötzlich Spaß an der Interaktion mit anderen Leuten. Ihre unumstößliche Art stößt zwar nicht immer auf Gegenliebe, aber ihr gelingt so manches kleines Wunder. Sie saniert nicht nur das marode Kaufhaus, sondern auch die Menschen darin.

Meine Meinung:

Susann Rehlein erschuf mit Lucy, die unkonventionellste, eigenwilligste, aber auch erfrischendste literarische Figur, die mir in diesem Jahr begegnet ist. Die Autorin ist durchaus für unbequeme Persönlichkeiten bekannt, aber mit Lucy Schröder übertrifft sie sich selbst.

Der Schreibstil ist keine leichte Kost und der Perspektive der Geschichte angepasst. Die Banalität des Alltags mit all seinen besonderen Momenten und den Menschen, denen man begegnet, ist hier skurril-komisch und sehr unterhaltsam umgesetzt. Der Blick fürs Wesentliche, der im hektischen Treiben der Gesellschaft, oft untergeht. Lucy gibt sie dem Leser ein Stück weit zurück und konfrontiert ihn mit ihren unverfrorenen, aber ehrlichen Ansichten. Man nimmt die Welt mit Lucy`s Augen wahr und dieses mutige Konzept von Susann Rehlein, ist meiner Meinung nach, voll aufgegangen. Die eigene Realität ausblenden und sich von Lucy mitnehmen lassen, eine Herausforderung, die von Seite zu Seite, mehr Spaß macht. Man stellt sich dabei unweigerlich die Frage. Wie würde man selbst auf Lucy`s ruppige Art reagieren? Sie hält der Gesellschaft den Spiegel vor und kann dabei etwas bewegen und das wo sie doch selbst derart problembehaftet ist. Was steckt wirklich hinter Lucy`s Fassade? Ihre Zwanghaftigkeit und die Scheu vor sozialen Kontakten ist wohl ihrer verkorksten Kindheit geschuldet. Die retrospektiven Passagen in Lucy`s Vergangenheit hinterlassen ein beklemmendes Gefühl, denn sie wurde von den Menschen, denen sie eigentlich blind vertrauen müsste, enttäuscht und im Stich gelassen. Sowas hinterlässt Spuren auf der Seele. Ob oder inwieweit sie unter einer psychischen Erkrankung leidet, bleibt jedoch offen. Und ich denke, die Autorin hat Lucy diesen Stempel, absichtlich, nicht aufgedrückt, so kann jeder sich sein eigenes Bild von der jungen Frau machen.

Das Ende, schließlich, ist harmonisch und stimmig. Lucy`s Leben wirkt aufgeräumter. Sie ist umgänglicher ohne ihren Eigensinn verloren zu haben.

Der Charakter von Lucy ist, trotz aller Einfachheit, kompliziert zu ergründen und wahrscheinlich bleibt sie deshalb, nachhaltig in Erinnerung.

 

5 Sterne und ich finde, jeder sollte Lucy Schröder kennenlernen. Eine Leseempfehlung für jeden, der mal abseits des gängigen Mainstreams, unterhalten werden möchten