Rezension

Maggie, die Sorgensucherin

Der Duft des Regens - Frances Greenslade

Der Duft des Regens
von Frances Greenslade

Bewertet mit 4.5 Sternen

Im Chilcotin Distrikt bei Bella Coola im westlichen Kanada hatten schon immer Pioniere gesiedelt, die nach ihren eigenen Vorstellungen leben wollten. Bis in die Gegenwart gab es hier genug Land und Wald für den, der hart arbeiten und der Natur nahe sein wollte. "Man ist frei und brauchte keinen Hunger zu leiden wenn man wusste, was man tat," hatte der Vater Maggie schon oft erzählt. Maggie und Jenny leben in den Wäldern Britisch Columbias mit ihren Eltern in einer einfachen Hütte; das Plumpsklo steht im Garten. Der Vater der Mädchen arbeitet als Holzfäller. Die Mutter Irene tut, was im Haushalt getan werden muss, selbst wenn sie keine Lust dazu hat. Mutter und Töchter genießen es, spontan in der Wildnis ein Zelt zu errichten, Feuer zu machen und sich die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen. Jenny spielt wie andere Mädchen mit ihren Freundinnen und ihren Barbiepuppen. Maggie streift gern gemeinsam mit ihrem Vater durch den Wald und hört seinen Geschichten zu. Maggies "zweites Gesicht" lässt ihr dabei im Wald schratige Wesen aus Blättern und Zweigen begegnen. Die jüngere der Schwestern sorgt sich um ihren Vater, wacht über seinen Schlaf, falls die Hütte unbemerkt vom Ofenfeuer in Brand geraten würde. Auch Maggies Vater ist beim Holzfällen als "Mister Sicherheit" bekannt, der stets überlegt handelt. Als der Vater der Mädchen trotz aller Umsicht tödlich verunglückt, gibt Maggie sich die Schuld daran. Sie hat mit dem Messer des Vaters gespielt und die gewohnte Ordnung im Haus gestört.

Irene bleibt mittellos mit den kleinen Töchtern zurück, in der einfachen Hütte in Duchess Creek, die nur gemietet ist. Sie nimmt eine Stelle als Köchin in einem Holzfällerkamp an, die Töchter lässt sie gegen Bezahlung bei weitläufigen Bekannten. Ohne soziale Hängematte und ohne Verwandte, die sich um die Mädchen kümmern können, müssen die beiden weitgehend allein zurechtkommen. Als Irenes Briefe und Zahlungen ausbleiben, macht Maggie sich auf die Suche nach ihrer Mutter und deren Geschichte.

"Im Notfall findest du immer natürlichen Schutz, hatte Dad im Herbst zu mir gesagt, als wir den Unterschlupf am See gebaut hatten. [...] Wenn du nur vorübergehend Schutz brauchst, gibt es fast immer irgendetwas, das du verwenden kannst. Aber du kannst dir genausogut einen Unterschlupf bauen. Es hilft dir beim Nachdenken und hält die Angst in Schach, bis du gefunden wirst." (S. 54) Wenn man im dünn besiedelten Britisch Columbia mit dem Auto von der Fahrbahn abkommt, darf man nicht in Panik loslaufen. Erst Schutz, dann Wasser, dann Feuer und Nahrung, hatte der Vater Maggie stets eingeschärft. Die Gespräche zwischen Vater und Tochter drehten sich darum, wie man sich im Falle eines Unfalls oder plötzlichen Wetterumschwungs einen einfachen Unterstand bauen kann, um zu überleben bis man von anderen gefunden wird. - "Shelter" (Obdach, Zuflucht) lautet der Originaltitel des Buches, "Nahrung, Wasser und Feuer" sind die Kapitel in Greenslades Roman überschrieben. - Da Maggie und Jenny noch viel zu jung sind, um ohne Mutter aufzuwachsen, müssen sie für den sicheren Unterstand in ihrem Leben von nun an selbst sorgen.

"Ihre Briefe hatten geklungen wie die Jenny, die ich kannte, immer heiter, immer mit dem Kiel nach unten, wie ein gutes Kanu in tosendem Wasser. Aber am Telefon konnte ich etwas Dunkles hören, das auf der Lauer lag und nach ihr rief. Es fiel ihr schwer, sich über Wasser zu halten." (S. 233). Maggie, die Sorgensucherin, muss sich aktuell um ihre Schwester sorgen. Der Blick aus Maggies Perspektive weitet sich durch Briefe Jennys an Maggie, sowie durch die Erinnerungen des Indianers Onkel Leslie an den Vater und Erzählungen der Freundin Rita über Irene. Die Gespräche mit Rita ermöglichen Maggie, rückwärts durch ihr eigenes Leben zu gehen. Auch die Raben-Mythen der Haida-Indianer der Pazifkküste finden ihren Platz im Roman.

Fazit
Frances Greenslade erzählt eine anrührende Geschichte von mutigen Frauen und deren starken Töchtern, die sich während der 70er in Kanadas Wildnis durchschlugen. Nur der wird in der Natur überleben, der in Krisensituationen die Reihenfolge Schutz/Nahrung/Wasser/Feuer streng einhält. Es ist die Geschichte zweier junger Frauen, die erst ihre Wurzeln finden müssen, um selbst erwachsen werden zu können. Greenslade wirft neben großartigen Naturbeschreibungen zwischen den Zeilen die Frage auf, mit welchen Werten und Fertigkeiten wir unsere Kinder ins Leben entlassen wollen.

Leser, die "River" und "Rubinrotes Herz, eisblaue See" mögen, werden Greenslades Erstlingsroman lieben.