Rezension

Mauerbau, Stufenbarre und Pressefotografie

Lebenssekunden -

Lebenssekunden
von Katharina Fuchs

Bewertet mit 5 Sternen

Zwei Teenager im Jahre 1956, die für jeweils eine Sache brennen: Angelika wünscht sich nichts mehr, als Pressefotografin zu werden. Ihr Weg in diese Männerdomäne ist mit harten Rückschlägen verbunden. Schließlich schafft sie den Sprung vom beschaulichen Kassel ins pulsierende West-Berlin. Christine ist mit Leib und Seele seit Kindertagen Kunstturnerin. Das strenge DDR-Regime verlangt ihr viel ab und nimmt sie schließlich in den  Kader für die Olympischen Spiele auf. Geht mit dem Einzug ins Sportinternat für sie ein Traum in Erfüllung? Derweil schwelt der Kalte Krieg über den privaten Schicksalen in Ost und West und die DDR beginnt 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer. Der letzte freie Übergang in den Westen wird verschlossen.

Hier fließen anschaulich und fesselnd aufbereitete Zeitgeschichte und zwei faszinierende  Fachbereiche zusammen und bilden einen Roman, der inhaltlich für zwei gereicht hätte. Die Geschichten der jungen Frauen sind zum einen Ausnahmelebensläufe, zum anderen stehen sie aber auch stellvertretend für die Zeit und Politik zwischen Wirtschaftswunder und Mangelwirtschaft. Die Einblicke in die Welt der Fotografie und des Leistungsturnens habe ich als sehr interessant empfunden. Wer jedoch gar nichts damit anfangen kann, mag an einigen Stellen des Romans Längen finden. 

Katharina Fuchs hat sich durch das Leben der bekannten Pressefotografin Barbara Klemm zur Figur ihrer Angelika inspirieren lassen. Klemm ist u.a. bekannt für ihre Aufnahmen bedeutsamer politischer Ereignisse, die sie aus einem ganz eigenen Blickwinkel gemacht hat. Ihre Fotos erzählen Geschichten. Diesen Aspekt hat Fuchs ihrer Figur ganz wunderbar mitgegeben. Insgesamt sind die Charaktere glaubhaft und bis in die Nebenrollen berührend beschrieben.

Der Roman las sich für mich sehr spannend und flüssig. Der Schreibstil von Katharina Fuchs hat mir sehr gut gefallen, jede Szene lief wie ein Film vor meinem inneren Auge ab. Ein Schmöker voller Zeitgeschichte und Schicksal, den ich sehr empfehlen kann.

Erscheint am 1. April 2022 als Taschenbuch.