Rezension

Mitreißender historischer Jugendroman

Benfatto -

Benfatto
von Andreas Ulich

Bewertet mit 5 Sternen

Ein dreizehnjähriger Analphabet begegnet einer der schillerndsten Schriftstellerpersönlichkeiten der Romantik - das ist Stoff für eine tolle Story!

Der Bamberger Straßenjunge Chrysostomos (kurz: Chrys) hat es nicht leicht. Als wäre es nicht schon schwierig genug, Tag für Tag das eigene Überleben zu sichern, muss er sich auch noch ausgerechnet mit dem jähzornigen Zunftmeister Erlauer anlegen, dem er ein Huhn zu klauen versucht hat. Eines Abends beobachtet der Junge einen verrückten Mann, der von einem Dachfirst Bücherseiten herunterwirft. Er ergattert eines der Blätter; leider kann er nicht lesen ...

Der Mann auf dem Dach heißt Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, ist Musikdirketor, Gesangslehrer, Komponist und - Dichter. Andreas Ulich bringt uns den verschrobenen Allround-Künstler als einen echten Sympathieträger nahe. Und das äußerst spannend. Denn irgend jemand hat es auf den armen Chrys abgesehen, und wenn er nicht so gute Freunde hätte wie den Musikdirektor Hoffmann und wie Just, ein als Junge getarntes Straßenmädchen, das ihm immer wieder aus der Patsche hilft, dann sähe er wohl ziemlich alt aus. Und auch die zarten Teenagergefühle fahren hin und wieder Achterbahn ...

Die Geschichte hat Tempo und Wortwitz. Andreas Ulich spielt mit der Sprache, dass es Spaß macht. Das ist soo schön geschrieben, ich möchte fast sagen: liebevoll. Dabei trotzdem temporeich und sehr kurzweilig. Nur hin und wieder muss man die komplizierten abgedrehten Reden des Herrn Hoffmann ertragen - auch Chrys versteht nicht immer viel davon - aber so ausführlich redete und schrieb man ja wirklich zu der Zeit...

Ich war hellwach und setzte mich auf. Er hatte getrunken, das war deutlich zu riechen, aber weil er immer noch so komplizierte Sätze bauen konnte, war es vermutlich nicht mehr gewesen als sonst.

E.T.A. Hoffmann ist ja eine meiner schmählichen Bildungslücken, ich habe nie etwas von ihm gelesen (außer einem extrem gruseligen „Sandmann“-Auszug in irgendeinem Opernprogrammheft), und doch, ja: ich glaube, dass er genau so gesprochen haben muss!

Auch die flapsigen Dialoge zwischen den Straßenkindern Chrys und Just sind einfach hinreißend. Besonders gut hat mir gefallen, dass der stets hungrige Chrys erst allmählich und mühevoll lernen muss, dass man einem Freund etwas abgibt, egal wie groß das Loch im Bauch ist.

Zwischendurch musste ich mal tief durchatmen - hier und da wird es schon echt brutal, deswegen würde ich das Buch für etwas zarter besaitete jüngere Jugendliche nur mit Einschränkung empfehlen. Andererseits finde ich die Geschichte, gerade auf Grund ihrer feinen Nuancen, der hervorragenden Sprache und der spannenden Wissensvermittlung, wieder ganz toll geeignet für Jugendliche. (Die Kenntnis einschlägiger Mozart-Opern ist nicht Bedingung zur Lektüre, erhöht das Lesevergnügen aber noch ein wenig.)

Fazit: ein mitreißender historischer Jugendroman, toll geschrieben; ausdrückliche Leseempfehlung auch für Erwachsene!