Modernes Märchen
Cécile hat es geschafft: Sie ist Grundschullehrerin geworden und soll nun achtzehn Erstklässlerin Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen. Das ist für die schüchterne und unsichere junge Frau schwierig: Zwar gewinnt sie schon am ersten Tag das Herz der Kinder, aber den Ansprüchen der Eltern, der Kolleginnen und der Schulaufsicht gerecht zu werden ist nicht leicht. Auch dass sie sich in einen Querdenker verliebt, verunsichert die angepasste Cécile, die es doch so gern allen recht machen möchte. Doch da gibt es noch andere Menschen mit Problemen: Der Schulleiter muss Angst haben, dass seine Schule wegen Schülermangels geschlossen wird, und das wurde gerade noch einmal abgewendet durch zwei asylsuchende Familien aus der Elfenbeinküste, die gleich zwölf Kinder in die Schule bringen. Obwohl die Familien im Heimatland verfolgt wurde und einige der Kinder den Tod des Vaters mit ansehen mussten, sind sie von Abschiebung bedroht. Und da gibt es noch jemanden, dem diese Abschiebung besonders am Herzen liegt...
Marie-Aude Murail ist eine französische Jugendschriftstellerin, die in Deutschland bekannt wurde, seit ihr Roman "Simpel" 2008 den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt. Murail schafft es, auch schwierige Themen so zu bearbeiten, dass der Leser nicht abgeschreckt wird. Und so ist das Thema Rassismus, Verfolgung und Asyl zwar tragend, doch vieles Belastende wird nur angedeutet. Murail plädiert für Solidarität; der Originaltitel "Vive la République" weist darauf hin, dass die demokratische Tradition in Frankreich dadurch lebendig bleibt, dass die Zuwanderer integriert werden. Dieser nationale Zungenschlag wirkt in Deutschland fremd; die Botschaft ist trotzdem die gleiche. Und wie Cécile die Kinder mit ihren Geschichten verzaubert und ihnen dadurch hilft, mit ihren Problemen zu leben, macht Murail mit ihrer Botschaft Mut, auch wenn sie die Ebene der Wahrscheinlichkeit verlässt und phantasievoll Lösungen sucht. Ein modernes Märchen, bei dem sich die Heldin entwickelt und das Gute siegt.