Rezension

Musik, nur Musik

Herr Mozart wacht auf - Eva Baronsky

Herr Mozart wacht auf
von Eva Baronsky

Bewertet mit 5 Sternen

»Nicht weit von seiner Bettstatt stand ein gläserner Tisch, darauf lag Papier, eine rechte Menge Papier, ein ganzer Stapel gar, weiß wie Jännerschnee und glatt wie feinste Seide. Er strich mit den Fingerspitzen darüber. Paradiesisch glatt, fürwahr, an diesem Ort war nicht zu zweifeln! Eine Feder fand er keine, doch ein Bleyweißstift aus lackiertem Holz und ein anderes Schreibgerät, dessen Beschaffenheit er nicht zu deuten wusste, lagen parat. Er nickte unwillkürlich. Wer auch immer ihn hierhergebracht haben mochte, zeigte überdeutlich, was er von ihm erwartete: dass er sein letztes Werk, sein Requiem, nun vollende, sei dieser Ort ein Schon, ein Noch oder ein Dazwischen.«

Gerade eben lag er noch auf dem Sterbebett, neben ihm seine weinende Constanze und nun schlägt er die Augen wieder auf, fühlt sich gesund, lebendig und ist scheinbar durch ein Wunder wieder genesen. Nur die Umgebung, in der er sich befindet, kommt Wolfgang Amadé Mozart nicht nur fremd vor, sondern ganz und gar unverständlich. Er hört Musik – und sieht doch kein Orchester. Die Fuhrwerke auf der Straße rasen Geschossen gleich und ohne Pferde an ihm vorbei und Kaffee kochen funktioniert ohne Herdstelle. Sicher kann nur göttliche Fügung ihn, der doch eigentlich gestorben ist, an einem solchen Ort und zu einer solchen Zeit wieder hat aufwachen lassen! Aber zu welchem Zweck? Doch sicher, um sein Requiem zu vollenden! Wolfgang macht sich an die Arbeit…

 

Dieses wundervolle Buch hat mich gleich von Beginn an in seinen Bann gezogen und bis zum Ende nicht losgelassen. Anders, als es die Inhaltsangabe vielleicht zunächst vermuten lässt, geht es nicht nur darum, einen Menschen in ein völlig fremdes Zeitalter zu versetzen und sich dann über seine Versuche, sich zurechtzufinden, zu amüsieren. Das gibt es natürlich auch, und zwar nicht zu knapp. Allerdings ist Wolfgang in seinen Bemühungen so liebenswert, dass sich bei mir zum Lachen meist auch Mitgefühl hinzugesellte…

»Noch immer trug er Piotrs Jacke und Ennos abgelegte Hosen. In einem solchen Aufzug würde er nirgendwo reüssieren, das war zu seiner Zeit so gewesen und würde sich auch in den nächsten zweihundert Jahren nicht ändern. Und so wagte er sich hinein, stand inmitten von Tischen und Ständern, an denen Kleider aufgereiht hingen, befühlte Tuche und betrachtete Knöpfe und Schnallen, nahm schließlich ein weißes Hemd mit blitzenden Goldknöpfen und hielt es sich vor die Brust.

„Die Herrenabteilung ist dort.“ Eine freundliche Dame mit Brille deutete hinter ihn. Wolfgang nickte, starrte verschämt auf die Bluse in seiner Hand, bis die Dame sie ihm abnahm…«

Darüber hinaus zeigt das Buch ganz deutlich, wie ein Mensch so in einer Sache aufgehen kann, dass er alles andere - wie schwierig oder verwirrend es auch erscheinen mag - dem unterordnet. Wie ihm diese Sache, die für ihn so wichtig ist, den Mut gibt, durchzuhalten und allen Problemen zu trotzen. Oder um es in Mozarts Gedanken zu sagen:

»Solange es nur Musik gab, war er bereit, in jeder Welt zurechtzukommen.«

 

Und es ist schwer beeindruckend zu lesen, wie Mozart Musik wahrnimmt, überall um ihn herum, wie er sie lebt, wie er in einem fort komponiert und selbst Alltagsklänge der modernen Welt in Noten umsetzt...

»Zum Bersten angefüllt mit Klängen, sank er in einen der Sessel, die, der ersten Frühlingssonne huldigend, vor einem Kaffeehaus aufgebaut waren. Nichts, außer vielleicht der Rausch der Liebe, kam diesem Zustand gleich, da alles in ihm und alles um ihn zu Tönen wurde, Tönen, die in ihn drangen und aus ihm kamen wie aus einer Quelle. Ja, er selbst war die Quelle. Er war Musik, das war sein Innerstes, dazu war er gemacht, und nur damit würde er glücklich sein.«

 

Wenn man Musikromane mag, dann muss man diesen hier gelesen haben. Ich glaube aber, dass auch für den Leser, der Musik gewöhnlich nicht zu seinen Hauptinteressen zählt, die Geschichte sehr unterhaltsam ist. Mozart wirkt sehr authentisch, von seiner Sprache her ohnehin, aber auch sein Naturell, das das Musikgenie einerseits als empfindsamen, zur Melancholie neigenden und gleichzeitig als genussfreudigen Menschen zeigt, der Frauen und Alkohol nicht abgeneigt ist, wird deutlich dargestellt. Zusammen mit mehreren anderen - sehr sympathischen - Charakteren ergibt dies eine Handlung, die sich neben Musik auch um Liebe und Freundschaft dreht.

 

Fazit: Liebenswert und unterhaltsam - ein wundervoller Musikroman!

 

»…und die Töne ergriffen ihn, trugen ihn hinauf, bis nichts mehr als Musik war, nur Musik…«