Rezension

Muss man gelesen haben!

Siebzehn Silben Ewigkeit - Denis Thériault

Siebzehn Silben Ewigkeit
von Denis Thériault

Bewertet mit 5 Sternen

Einige Worte zum Inhalt

Bilodo ist 27 Jahre alt und arbeitet als Briefträger in Kanada. Tagein, tagaus verrichtet er seine Arbeit, doch wenn er am Abend nach Hause kommt, frönt er einem geheimen Laster: Er fängt private, handgeschriebene Korrespondenzen ab und träumt sich in die Leben anderer Menschen. Dabei stößt er eines Tages auf einen Brief von Ségolène, einer Lehrerin aus Guadeloupe, die mit einem Mann aus Bilodos Zustellbezirk Haikus austauscht. Der junge Mann verliebt sich unsterblich in die geheimnisvolle Frau und erwartet jeden ihrer Briefe sehnsüchtig. Doch eines Tages geschieht ein Unglück: Der Mann, dem sie schreibt, kommt bei einem Unfall ums Leben. Bilodo ergreift die Chance und schlüpft in die Identität eines anderen …

Meine Meinung

Siebzehn Silben Ewigkeit ist etwas für Träumer, Poesieliebhaber und Freunde einer ausschweifenden, kräftigen Sprache. Es ist ein psychologischer Roman mit philosophischem Beigeschmack, der einen surrealen Charakter und eine ebenso surreale Welt, die den Leser in emotionale Tiefen führt, beinhaltet. Bilodo ist ein exzentrischer junger Mann, der sich in die Leben anderer Menschen träumt und darüber sein eigenes Leben vergisst, der mittags alleine isst und mit beständiger Leidenschaft Kalligraphie übt. Seine Kollegen haben wenig Verständnis für seine Marotten, belächeln ihn höchstens, doch das ist Bilodo egal: Solange er Ségolène hat, ist er zufrieden. Er steigert sich in seine Fantasien hinein, man merkt deutlich, dass Bilodo dem realen Leben bereits den Rücken gekehrt hat und nicht wünscht, sich von seiner Traumwelt zu verabschieden. In meinen Augen ist er ein grandioser, plastischer Charakter, dessen Wahnsinn nach und nach offenbart und gesteigert wird, bis die Grenze zwischen Traum und Realität vollkommen verwischt. Auch die anderen Charaktere, denen der Leser im Roman begegnet, sind einprägsam und individuell, was mir unheimlich gut gefallen hat.

“Vor allem aber gab es Liebesbriefe. Denn selbst nach dem Valentinstag blieb die Liebe das vorrangige Thema, das die meisten Schreibenden miteinander verband. Die in sämtlichen Zeiten und Tonfällen deklinierte Liebe, in allen nur denkbaren Varianten, ob als entflammter oder höflicher, draufgängerischer oder keuscher, ausgelassener oder dramatischer, mitunter leidenschaftlicher, häufig lyrischer Brief, umso bewegender, je schlichter die Gefühle darin ausgedrückt wurden, am anrührendsten jedoch, wenn diese sich zwischen den Zeilen, hinter vermeintlich nichtigen Worten, verbargen und insgeheim verzehrten.” - S. 15

Der Schreibstil ist von Metaphern und Poesie geprägt und schlichtweg meisterhaft. Selten habe ich ein Buch gelesen, das mich mit einem derartig vollendeten Schreibstil verzaubert hat. Thériault ist ein Meister der Worte, der so außergewöhnlich mit Sprache spielt, dass es mich von der ersten bis zur letzten Seite (ich habe keine einzige Lesepause gemacht) in das Buch hineingesogen hat. Die Haikus und Tankas (beides japanische Gedichtformen) waren ebenso toll und abwechslungsreich wie der Rest des Romans und haben sich wunderbar in die Handlung eingegliedert.

Das Ende der Geschichte hat mich auch beim zweiten Lesen mit einem seltsamen Gefühl im Magen zurückgelassen. Allerdings nicht auf eine negative Art und Weise. Es war eher ein Gefühl der Erschrockenheit, der Erkenntnis, des Verständnisses, verbunden mit ein wenig Traurigkeit und einer überwiegenden Zufriedenheit. Beim ersten Lesen hatte ich ein solches Ende nicht erwartet, es war eine große Überraschung. Allein des Endes wegen sollte man dieses Buch schon gelesen haben!

Fazit

Lesen, lesen, lesen! Siebzehn Silben Ewigkeit ist eines meiner allerliebsten Bücher und ich könnte es gerade schon ein drittes Mal lesen. Dieses Buch verdient eine Wertung von fünf Herzen voll und ganz. Einfach zauberhaft!