Rezension

Nachdrücklich empfohlen!

Wo drei Flüsse sich kreuzen - Hannah Kent

Wo drei Flüsse sich kreuzen
von Hannah Kent

Die australische Autorin Hannah Kent offenbart einmal mehr ihre Faszination für historische Stoffe, die auf wahren Begebenheiten beruhen. In ihrem Erstling „Das Seelenhaus“ nimmt sie den Leser mit nach Island, ihr neuer Roman „Wo drei Flüsse sich kreuzen“ führt uns nach Irland. Der zeitliche Rahmen beider Bücher ist mit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahezu identische, ebenso das große Ganze der Handlungsorte. Beides sind Inseln, liegen im Norden und bilden durch ihre isolierte Lage ein geschlossenes System, in dem Mythen, Traditionen und Aberglaube fest in den Köpfen der Menschen verankert sind.

Ein abgeschiedenes Tal im irischen Hinterland. Das Leben ist geprägt von Armut und Entbehrung. Die Annehmlichkeiten des „modernen“ Lebens sucht man vergebens. Kälte, Schmutz und Dunkelheit. Und natürlich Hunger, der ständiger Gast in den Katen der Menschen ist. Kartoffeln, Wasser, manchmal Milch, ab und an ein Ei sowie Beeren und Wildkräuter, Tabak und Gerstenschnaps zu besonderen Gelegenheiten – zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig.

Heimat von Nance Roche, der geheimnisvollen Außenseiterin. Kräuterfrau, sagen die einen, Hexe, die anderen, gemieden von den Dorfbewohnern und doch heimlich aufgesucht, wenn Hilfe benötigt wird. Sie lebt die alten Traditionen und hat noch das Wissen der Urahnen parat, das sich aus Aberglaube und Mythen speist.

Heimat aber auch von Nóra, die nicht nur um ihren Mann sondern auch ihre bereits erwachsene Tochter trauert und nun Mutterstelle an Micheál, ihrem Enkelkind vertreten muss. Aber Micheál ist anders. Er ist behindert, spricht nicht, kann nicht laufen, krampft immer wieder am ganzen Körper und hat nichts mehr mit dem lebhaften Kind gemeinsam, das er bis zur Krankheit und dem Tod seiner Mutter war. Nora schämt sich für seinen Zustand und schirmt ihn vor der Außenwelt ab. Mit seiner Pflege ist sie überfordert, weshalb sie sich eine Magd ins Haus holt. Mary, ein Mädchen aus dem Norden, aufgewachsen mit vielen Geschwistern, die sich liebevoll um das Kind kümmert.

Gemunkelt wird immer in der Nachbarschaft, aber als die Kühe plötzlich keine Milch mehr geben, ein Kind tot geboren wird und eine Frau sich selbst in Brand setzt, ist der Schuldige schnell gefunden. Micheál ist der Auslöser, das Böse. Er muss ein Wechselbalg sein, ein Kuckucksei, das ihnen die Feen ins Nest gelegt und mit dem ehemals gesunden Kind vertauscht haben. Es muss etwas geschehen, Gedanken reifen, und so entspinnt sich zwischen Nóra und Nance eine unheilvolle Allianz, der auch Mary nichts entgegenzusetzen hat…

Hannah Kent hat ein besonderes Gefühl für die Sprache, die diesem klaustrophobischen Handlungsort angemessen ist. Sie beherrscht die Dramaturgie perfekt und erzählt ruhig und sehr poetisch. Eine Geschichte aus einer Zeit, in der das Wünschen nicht geholfen hat. Eine Geschichte verzweifelter Menschen, die sich dem Schicksal hilflos ausgeliefert fühlen und deshalb Zuflucht in Vertrautem suchen. In altem Wissen, ihren Traditionen und ihrem Aberglauben.

Nachdrücklich empfohlen!