Rezension

NIchts für Zartbesaitete

Der Horror der frühen Chirurgie -

Der Horror der frühen Chirurgie
von Lindsey Fitzharris

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Buch ist das zweite von Lindsey Harris, das sich mit historischer Medizin und ihren Pionieren beschäftigt. Es nimmt sich eines Themas an, das alles andere als leicht zu lesen ist: Die Rekonstruktion von Gesichtern, die auf Grund von im Ersten Weltkrieg erlittenen Verletzungen zerstört worden sind.

Dabei kommt auch dem psychologische Druck, dem die Kriegsinvaliden ausgesetzt sind zur Sprache. Während Männern, denen Arme oder Beine amputiert werden mussten, eher als „Helden“ betrachtet werden, verstecken sich jene, deren Gesichter entstellt wurden oder einige begehen Selbstmord. Nur die sogenannten „Kriegszitterer“ werden noch weniger geschätzt: Körperlich nahezu unversehrt, gelten sie als Simulanten und werden oft ins Irrenhaus gesteckt, wo man sie mit Elektroschocks und ander „Therapien“ quält. Doch das ist eine andere Geschichte.

 

Chirurg Harold Gillies (1882-1960) hat hunderten von „Gueules cassées“ (zerhauene Visagen) in mühevoller Kleinarbeit neu Gesichter modelliert. Dazu bedient er sich alter und neuartiger Methoden, die ich jetzt nicht im Detail ausführen möchte. Er gilt als Vater der plastischen Chirurgie. Während die Feldchirurgen hauptsächlich das Überleben ihrer Patienten im Sinn haben, legt Gillies legt sehr viel Wert darauf, dass durch seine Arbeit auch die Funktionen wie Öffnen und Schließen des Mundes oder der Augenlider wieder möglich sind. Wenn man bedenkt, dass für so eine Gesichtsrekonstruktion, die ohne Narkose erfolgt ist, Dutzende Operationen notwendig gewesen sind, muss man sowohl Gillies und seinem Team als auch den Patienten selbst, vollen Respekt zollen.

 

Gillies lässt die Fortschritte seiner Arbeit dokumentieren. Einerseits werden „Vorher/Nachher-Fotos“ angefertigt und andererseits lässt er seine Operationsschritte durch einen Künstler festhalten, der detaillierte Skizzen anfertigt. Mit Hilfe seines Kollegen Bedford Russell und seines früheren Patienten und Sekretär Robert Seymour sammelt Gillies Krankenakten und Notizen, um eine Studie zur Gesichtsrekonstruktion zu schreiben

 

Neben seinem handwerklichen Geschick, setzt Gillies auf Betreuung der Psyche. Seine Patienten können sich in einem umgebauten Herrensitz von ihren Strapazen erholen.

 

Meine Meinung:

 

Dieses Buch ist nichts für Zartbesaitete, da zahlreiche Verletzungen und Operationen detailliert geschildert werden. Dabei geht die Autorin sehr sachlich vor und weidet sich nicht an den Schmerzen und Verletzungen der Patienten. Daneben zeichnet Fitzharris ein ganz anderes Bild von Harold Gillies: Er ist ein passionierter Sportler und verbringt viel Zeit auf dem Golfplatz, vermutlich auch deswegen, um die schrecklichen Wunden seiner Patienten zu vergessen.

 

Wer einen historischen Roman zu diesem Thema lesen will, dem sei „Die Maskenbildnerin von Paris“ von Tabea König empfohlen. Hier werden die Gesichter der Kriegsinvaliden mit kunstvoll gestalteten Gesichtsprothesen ausgestattet.

 

Fazit:

 

Ein bestens recherchiertes Sachbuch über die plastische Chirurgie, dem ich gerne eine Leseempfehlung und 5 Sterne gebe.