Rezension

Über die blutig-faszinierenden Anfänge der plastischen Chirurgie

Der Horror der frühen Chirurgie -

Der Horror der frühen Chirurgie
von Lindsey Fitzharris

Bewertet mit 5 Sternen

Der zweite medizinhistorische Roman von Lindsey Fitzharris erzählt von der Geburtsstunde der modernen Schönheitschirurgie: während des 1. Weltkrieges entstanden Gesichtsverletzungen in nie dagewesenen Mengen, und während andere Soldaten nach Ende des Krieges in die Gesellschaft zurückkehren konnten, wurden als die Gueules cassées nicht selten als Ausgestoßene behandelt. So hatten sie beispielsweise in Frankreich zunächst keinen Anspruch auf Kriegsversehrten-Unterstützung.

Harold Gillies, HNO-Arzt, wurde in dieser Stunde Vater der plastischen Chirurgie. Spannend und auf sehr bildliche Weise werden die schrecklichen Verwundungen und die Heilungsbemühungen beschrieben. Dabei wird das Schlaglicht nicht nur auf Gillies, sondern auch auf mehrere Zeitgenossen gerichtet, die sich ebenfalls bemühten, das Leid der Gesichtsverletzten zu mindern. Neben Ärzten werden auch künstlerisch tätige Persönlichkeiten vorgestellt, die mittels Masken eine Rückkehr in die Gesellschaft ermöglichten.

Ganz konkret sind die medizinischen Grenzen, Möglichkeiten und Methoden der Zeit hervorragend recherchiert. Vorgänge und Eingriffe werden verständlich beschrieben. Hier ein Beispiel:

„Zuerst deckte er das rohe Fleisch im Wundbereich mit Hauttransplantaten ab, um die Atemwege zu schützen. Dann entnahm er [dem Patienten] Rippenknorpel und schnitt ihn in Form einer Pfeilspitze, um ihn später als Stütze für die Nasenflügel zu verwenden. Dann implantierte er das Knorpelstück unterhalb des Haaransatzes in [seine] Stirn, wo es sechs Monate verblieb.“ (S. 135f.)

Ich gestehe, dass ich vorher nie darüber nachgedacht habe, wie schwierig Gesichtsoperationen damals aufgrund der gängigen Anästhesie durch Gase war.

Beim Lesen habe ich ab und an gedacht, dass die erwähnten Abbildungen der Endresultate der Operationen Gillies interessant wären. Allerdings ist eine wissenschaftliche Veröffentlichung von Harold Gillies online zugänglich und Fitzharris hat vermutlich Recht daran getan auf eine Wiedergabe der Bilder zu verzichten und so einen sachlichen Ton und respektvollen Umgang mit den betroffenen Männern aufrecht gehalten.

Alles in allem empfehle ich diesen Roman allen Lesern, die an medizinischen Dingen Interesse haben und drastisch-detaillierte Beschreibungen verkraften.