Rezension

On the brinks

True Crime - Sam Millar

True Crime
von Sam Millar

Auf Sam Millar wurde ich durch die Karl Kane-Reihe aufmerksam und musste feststellen, dass die Lebensgeschichte des nordirischen Autors wesentlich spannender als so mancher Thriller ist. Niedergeschrieben hat er diese in seiner Autobiographie „On the brinks“, die nun glücklicherweise unter dem Titel „True Crime“ in deutscher Übersetzung vorliegt.

Geboren 1955 in Belfast, Mutter katholisch, Vater protestantisch. Die Religion an sich spielt keine große Rolle in seinem Leben, aber deren politische Auswirkungen (Nordirland-Konflikt) auf das tägliche Leben in seiner Heimatstadt schon. Die Schule verlässt er zum frühestmöglichen Zeitpunkt und jobbt fortan im Schlachthof. Seine Freizeit verbringt er mit seinen Kumpels in einer Jugendgruppe der IRA. Am 30. Januar 1972 nimmt der Siebzehnjährige an einer Demonstration für Bürgerrechte in Derry teil, die völlig aus dem Ruder läuft, als britische Soldaten in einem katholischen Stadtteil in die Menge schießen und 13 Menschen töten. Die Erlebnisse am „Bloody Sunday“ prägen Sam Millar nachhaltig und radikalisieren ihn.

Seine Beteiligung an Aktionen der IRA bringt ihm 1973 den ersten Gefängnisaufenthalt ein, 1976 folgt der zweite, den er in „Her Majesty’s Prison Maze“, auch Long Kesh genannt, mit einer Vielzahl politischer Gefangener absitzen muss. Er schließt sich den „Blanket Men“ an und überlebt den Hungerstreik von 1981, der zehn Freunde das Leben kostet. Demütigungen, Misshandlungen und Folter sind an der Tagesordnung, Long Kesh ist die Hölle, hier herrschen Zustände wie in Guantanamo – die Gefangenen sind aller Rechte beraubt und werden wie Tiere behandelt.

1983 werden die Proteste eingestellt und ein Ausbruch vorbereitet, bei dem schlussendlich 38 Mithäftlingen die Flucht gelingt. Im gleichen Jahr wird Sam Millar entlassen und reist 1984 mit der Hilfe seines Freundes Tom über Kanada in die USA ein. Er verschafft sich eine falsche Identität und fängt an, sich ein neues Leben aufzubauen. Es sind die verschiedensten Jobs, legal und illegal, die er ausübt, und die ihm den Lebensunterhalt sichern.

Bis er eines Tages seinen Kumpel Tom auf der Arbeit besucht – und dieser arbeitet bei Brinks, dem Unternehmen, das Geldbeträge in unglaublicher Höhe befördert. Die Sicherheitsvorkehrungen der Firma sind mangelhaft, was Millar sofort registriert. Und so reift der Plan, der im Januar 1993 mit dem Raub mehrerer Millionen Dollar endet. Aber lange können sich Sam und seine Komplizen nicht an dem Geld freuen, denn das FBI ermittelt fix und verhaftet  ihn im November des gleichen Jahres. Allerdings kann man ihm den Raub nicht zweifelsfrei nachweisen, und so geht er „nur“ für den Besitz des Geldes ins Gefängnis, wobei er einen Teil der fünfjährigen Haftstrafe in den USA, und den Rest in Belfast verbüßt. 1997 wird er entlassen, baut sich dann eine Existenz als Schriftsteller auf und wurde mittlerweile mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Im Innersten berührt haben mich vor allem die Beschreibungen seiner Jahre in Long Kesh. Ich bin gleichaltrig und erinnere mich noch gut an die Berichterstattung in den Medien, die Mitglieder und Sympathisanten der IRA als skrupellose Kriminelle bezeichneten, aber kein Wort über das Verhalten der britischen Truppen in Nordirland verlauten ließen. Und über die Haftbedingungen in „Her Majesty’s Prison“ wurde schon überhaupt nicht berichtet.

Ich habe große Hochachtung vor Sam Millar, den das Ausgeliefertsein, die bitteren Erfahrungen, die er damals machen musste, nicht gebrochen haben. Er hat überlebt und ist Mensch geblieben, sensibel, wenn Unrecht geschieht, aber auch zornig gegenüber jenen, die ihre Ideale für einen politischen Posten verkauft haben. Militant ist er nur noch im übertragenen Sinn, denn mittlerweile sind Worte seine stärksten Waffen.