Rezension

Pandemie im postapokalyptischen New York

New York Ghost -

New York Ghost
von Ling Ma

Bewertet mit 4 Sternen

Candace Cheng ist in den postapokalyptischen USA mit einer kleinen Gruppe Überlebender unterwegs nach Chicago. Bob, ihr autoritärer, oberlehrerhafter Anführer will dort unbedingt in einer Einkaufsmall unterkriechen, an der er angeblich Anteile besitzt und in der er praktisch seine Kindheit verbracht hat. Das Überleben von Menschen nach einer Apokalypse hängt davon ab, wie lange Wasser, Strom und Nahrung aus Lagerräumen verlassener Geschäfte noch verfügbar sind. Ob sich die Investition in Treibstoff für die geplante Strecke nach Chicago lohnt, ist ein reines Rechenexempel.

Candace erzählt die Geschichte abwechselnd mit einer neutralen Erzählerstimme. Ihre Gruppe Überlebender hat zu Beginn ihres Trips erst einmal gegoogelt, wie man „in der Wildnis überlebt“. Als Kind chinesischer Einwanderer aus Fujian kam die junge Frau Anfang der 90er erst als 6-Jährige in die USA und hat sich leichter integriert als ihre Eltern. Mit einem sich abrackernden Vater und einer wegen schlechter Sprachkenntnisse isolierten Mutter wird Candace wie ein Kleidungsstück von der Stange ein geradezu klischeehafter Lebenslauf eines Einwanderer-Kinds verpasst. Candaces Vater floh vor Bespitzelung und Familientratsch aus China in die Freiheit, das hoffte er jedenfalls. Doch er geriet vom Regen in die Traufe, wie Candace im Rückblick erkennt. Nach dem frühen Tod beider Eltern bricht sie das College ab und nimmt einen Verlegenheitsjob in einem Verlag an, der Billig-Bibeln in China produzieren lässt. Zuverlässig, gehorsam und ohne weitere Qualifikation, scheint Candace für ihren Job als Produktionsassistentin die ideale Besetzung zu sein. Sie sorgt für die reibungslose Versorgung mit Plastikschund, den niemand braucht. Offen bleibt, ob Candace irgendwann erkannte, dass ihre bi-kulturelle Erziehung ihr eine weit lukrativere Karriere ermöglicht hätte, wenn sie sich denn je für ihre Herkunft interessiert hätte. Mit welchen Werten die junge Frau aufwuchs, wirkt so banal wie ironisch überzeichnet. Ihre chinesischen Verwandten hofften durch die Auswanderer in der Heimat Gesicht/Ansehen zu erhalten und Candaces Eltern erwarteten von ihr, dass sie etwas Nützliches leistet. Wie sie jedoch herausfinden kann, was sie glücklich macht, davon war nie die Rede.

Als die USA vom Shen-Fieber getroffen werden, einer heimtückischen Pilzinfektion, die auf Waren aus China ins Land gelangt, zeigt Candice sich nicht gerade fix im Erkennen des Zusammenhangs zwischen Billiglöhnen in Asien, massenhaften Geschäftsreisen und den Folgen für die ausgedehnte asiatische Community einer Großstadt.

Mit der Tour zu Bobs angeblichem Besitz in Chicago als Rahmenhandlung erzählt „New York Ghost“ rückblickend Candaces Familiengeschichte und wie die Stadt New York schließlich unbewohnbar wurde. Das Original "Severance" erschien 2018. Wer schon irgendeinen Roman über chinesische Einwanderer in die USA gelesen hat, wird sich möglicherweise durch die Rückblenden hindurch langweilen.

Eine streng erzogene Einwanderin der 2. Generation steht im Mittelpunkt der spekulativen Fiktion; das Versprechen eines Romans über die Generation der Millennials finde ich zu hoch gegriffen. Ein origineller Debütroman, dessen Übersetzung an einigen Stellen holpert.