Rezension

Paradise is the Road to Paradise

Utopia Avenue -

Utopia Avenue
von David Mitchell

Bewertet mit 5 Sternen

Dean Moss ist am Ende. Gerade haben ihn zwei Gauner um sein gesamtes Erspartes gebracht, seine Vermieterin hat ihn rausgeworfen und seinen Job in einem Café ist er ebenfalls los. Ein Rucksack und sein Bass sind alles, was ihm bleibt. Und so überlegt er nicht lange, als ihm Levone Frankland einen Schlafplatz auf seiner Couch anbietet und ihn vorher noch auf eine kleines Konzert im Herzen Londons einlädt. Dean kennt Levone nicht, aber der weiß offenbar, dass er ein begabter Bassist ist und setzt alle Hebel in Bewegung um Dean mit drei anderen jungen Musikern zusammen zu bringen, die auf den ersten Blick nicht sonderlich zu harmonieren scheinen. Dean ahnt es noch nicht, aber das ist die Geburtsstunde von Utopia Avenue.

Mitchell illustriert in diesem umfangreichen Roman gekonnt das Auf und Ab einer jungen Band im London der 60er Jahre. Drogen, der Vietnamkrieg, Hippies, Konservative Väter, korrupte Polizei und bekannte Musikgrößen sorgen für echtes 60er Flair. Aber die buchstäblichen Stars des Romans sind die vier Bandmitglieder Dean, Elf, Jasper und Griff.

Die vier sind ganz verschiedene Typen: Elf Holloway, die als einzige Frau in der Band viel Selbstbewusstsein braucht, kommt aus einer gutbürgerlichen Familie, macht verträumte Folkmusik und kommt nicht von ihrem furchtbaren Partner los. Bluesbassist Dean Moss hat mit seinem alkoholabhängigen Vater gebrochen, hat es so gar nicht mit Autoritäten und sorgt mit seinen Frauengeschichten für Wirbel. Jasper de Zoet ist ein begnadeter Gitarrist aber meist nicht in der Lage, die Gefühle anderer Leute zu deuten. Als die Ruhe in Person sorgt er für die psychedelischeren Songs der Band, aber er fürchtet sich ständig davor, wieder in der Psychiatrie zu landen. Jazzschlagzeuger Griff Griffin ist zwar der einzige, der keine eigenen Songs schreibt, aber dank seiner offenen und rotzigen Art, kann man viel Spaß mit ihm haben. Zumindest, bis ein Unfall geschieht, der alles auf den Kopf stellt.

Dass Mitchell den Leser an den kleinen und großen Dramen im Leben der Bandmitglieder teilhaben lässt, alles mit der Bandgeschichte verflechtet und ihre Erlebnisse in den – leider fiktiven – Songs der Gruppe verarbeitet, hat mir die Figuren so sehr ans Herz wachsen lassen, wie es schon lange kein Roman mehr geschafft hat. Gewohnt ausschweifend, mit einer guten Portion Humor erschafft Mitchell ein Kaleidoskop aus Liebe, Trauer, Leidenschaft, Absurdität, irren Tripps, Ernsthaftigkeit, Freude, Betrug und sehr sehr viel Musik.

Natürlich kann man Utopia Avenue auch lesen, ohne Mitchells andere Romane zu kennen, aber ich muss sagen, dann verpasst man etwas. Schon in seinen anderen Büchern fallen kleine Querverweise auf, die ich persönlich ja sehr liebe (und bestimmt nicht in Gänze erfasst habe!). Aber die Verbindungen von diesem Roman zu den Knochenuhren und den Tausend Herbsten haben mich einfach komplett vom Hocker gehauen. Hätte der Roman auch ohne diese Verbindungen funktioniert? Ja, hätte er. Aber so liebe ich ihn noch ein kleines bisschen mehr.

 

Meine Rezension bezieht sich auf das Hörbuch, dessen über 25 Stunden Laufzeit ganz großartig von Johannes Steck eingelesen wurden. Die raue Stimme passt in die wilde Musikszene und seine dezente aber treffende Interpretation der einzelnen Figuren hat diesen bunten Roman noch ein bisschen lebendiger gemacht.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 14. August 2022 um 17:08

Das hört sich für mich sterbenslangweilig an. Wenn man aber ein Bandmitglied ist oder sonst wie Musik macht, ist es sicherlich anders. Bin ich froh, dass meine Anfrage keinen Erfolg hatte! Hoffentlich überlegen die es sich nicht noch anders ....*ggg*