Rezension

Schuldlos schuldig

Ein gutes Mädchen - Jennifer DuBois

Ein gutes Mädchen
von Jennifer DuBois

Bewertet mit 5 Sternen

~~Durch einen tragischen Verlust innerhalb der eigenen Familie und die ängstliche Fürsorge ihrer emotionsarmen Eltern geprägt, „flüchtet“ die 21-jährige Amerikanerin Lily Hayes für ein Auslandssemester aus Vermont ins argentinische Buenos Aires, um dort endlich Luft zu holen, sich von den Ketten des Elternhauses zu befreien und neben Spanischlernen endlich ihr junges Leben zu genießen. Sie teilt sich ein Zimmer mit der Californierin Katy, die sie bewundert. Außerdem trifft sie auf Sebastien, den schwerreichen Nachbarn, in den sich Lily verliebt. Doch was als schönes Abenteuer begann, endet nach wenigen Wochen für Lily in einem Alptraum. Sie wird des Mordes an ihrer Mitbewohnerin Katy angeklagt und kommt ins Gefängnis. Hat sie diese unsägliche Tat wirklich begangen?
Jennifer DuBois hat mit ihrem Roman „Ein gutes Mädchen“ eine wunderbare Gesellschaftsstudie vorgelegt. Der Schreibstil ist schön flüssig zu lesen und hat regelrecht Sogwirkung. Die angelegten Zeitebenen beschreiben zum einen das Geschehen vor dem Mord, zum anderen wird die Phase nach der Tat während der Haft Lilys erzählt. Die verschiedenen angelegten Perspektiven der einzelnen Charaktere verleihen der Geschichte mit ihrer Erzählweise eine düstere, eher hoffnungslose Atmosphäre. Jeder einzelne Protagonist, der in diesem Roman zu Wort kommt, wird unter Betrachtung seiner Lebensumstände regelrecht seziert und gibt deutliche Hinweise auf die Beziehungen zu den anderen Charakteren wieder. Da gibt es Lilys Eltern, die nach dem tragischen Tod ihrer ersten Tochter wie in einem luftleeren Raum leben, zwar mittlerweile getrennt, aber die Fürsorge für ihre beiden anderen Töchter eint sie. Trotzdem wirken sie seltsam gefühlsunfähig, als hätten sie Angst, ihre Liebe zu ihren Kindern würde ein weiteres Unglück heraufbeschwören. Lilys jüngere Schwester Anna, die immer im Schatten ihrer beiden älteren Schwestern gestanden hat, ob nun tot oder lebendig, und die sich wie ein Igel in sich gekehrt hat, weil sie noch nicht genau weiß, wie sie aus ihrer Haut ausbrechen soll. Der seltsame, reiche Nachbar Sebastien, der nach dem Verlust seiner Eltern einsam und allein in einem Riesenhaus wohnt und sich nicht in die Karten schauen lassen will. Eduardo, der ehrgeizige Ermittler, der so von sich überzeugt ist, sich keine vorschnelle Meinung bilden möchte, dann aber nur eingleisig ermittelt und dem Fall damit mehr schadet als nützt. Und da ist Lily, zerrissen, hungrig nach Aufmerksamkeit und Liebe, extrovertiert, manchmal auch naiv, dabei wirkt sie auf Außenstehende kühl, fast kalt und unbeteiligt.
Obwohl es Parallelen zu dem öffentlichkeitswirksamen Fall um die Amerikanerin Amanda Knox gibt, erzählt Jennifer duBois mit ihrem Roman eine ganz eigene Geschichte. Ihr Roman ist eine einzigartige Studie über die Sichtweise, Einschätzung und Meinung der Menschen untereinander und miteinander, die oft unterschiedlicher nicht sein können, manchmal aber auch zweifelhaft identisch sind, wobei es die kleinen Dinge sind, die hierbei ins Gewicht fallen, sei es familiär oder aus dem Blickwinkel eines Fremden. Die Komplexität des Gesamtbildes wird dem Leser keine eigenen Antworten liefern. Gerade dies ist die wahrhafte Meisterleistung der Autorin.
Ein sehr intensiver und sprachlich sehr gewandter Roman, der seinesgleichen sucht. Absolute Leseempfehlung für alle, die etwas mehr Tiefgang in der Lektüre suchen. Einfach wunderbar!