Rezension

Schwer erträglich und poetisch zugleich

Ein Kind Gottes - Cormac McCarthy

Ein Kind Gottes
von Cormac Mccarthy

Bewertet mit 4.5 Sternen

Lester Ballard ist ein Ausgestoßener, einsam und gewalttätig. Als ihm nach und nach die Reste eines normalen Lebens abhandenkommen, wird er zum Höhlenbewohner, zum Serienmörder, schließlich zum Nekrophilen. Er gerät in Haft, in die Psychiatrie, in die Gewalt rachsüchtiger Männer. Lester Ballard, «vielleicht ein Kind Gottes ganz wie man selbst.» (Verlagsseite) 

Cormac McCarthys Literatur gehört zur emotional am schwersten erträglichen der Gegenwart. Auch dieser Roman macht keine Ausnahme. 
Schwer erträglich ist Lester Ballards Situation, der Verkauf von Haus und Hof, sein Vagabundendasein, das ihn erst in eine Hütte und nach deren Brand in eine Höhle führt. Immer hungrig, immer verdreckt, immer auf der Suche nach Essbarem. Er lebt von kleinen Diebstählen und Hehlereien, von dem, was er im Wald findet und schießt. Sein Gewehr ist, neben ein paar Kirmesplüschtieren, sein einziger Besitz und ihm kostbarer als alles andere. 
Schwer erträglich sind aber ebenso Lesters Morde und seine Respektlosigkeit gegenüber den Kreaturen.
Er ist auf der einen Seite ein bemitleidenswerter Einzelgänger, überall bekannt, aber ohne Bindungen. Auf der anderen Seite ein widerwärtiges Scheusal, das vor nichts zurückschreckt, nicht vor dem Töten, nicht vor der Aufbewahrung der Leichen und nicht vor deren Schändung. 

McCathy betrachtet seinen Protagonisten, als würde er durch die falsche Seite des Fernrohrs auf ihn blicken: distanziert, bezuglos und sehr weit weg.
Auch die Morde sind mit großer Sachlichkeit und fühllos geschildert. Die Frage nach dem Motiv stellt sich nicht – abgesehen von der sexuellen Begier bei den weiblichen Leichen.
Eine besondere Gegensätzlichkeit drückt sich in der Sprache des Autors aus: Es ist ein Genuss, die poetischen, bildreichen und phantasievollen Landschaftsmalereien zu lesen; auf der anderen Seite die knappen, auf das Wesentliche beschränkten Sätze über Lesters Tun.

Rätsel gibt der Titel des Buches auf. Man kann ihm sich vermutlich nur von der christlichen Definition her nähern, nach der alle Menschen Kinder Gottes sind. Also auch ein Mensch wie Lester Ballard. Also auch andere, die in ihrem Leben verfolgt, gefoltert und ermordet haben. Also auch Diktatoren, Tyrannen, Herrscher.
Der Titel „Ein Kind Gottes“ also Provokation für den Leser?

Kommentare

wandagreen kommentierte am 23. Dezember 2014 um 10:17

Nach der christlichen Definition sind nur diejenigen Kinder Gottes, die an ihn glaubenn  u n d  sich (deshalb) an seine Gebote halten. Es sind jedoch alle, alle, Geschöpfe Gottes.

Violetta fragte am 03. Januar 2015 um 15:46

Wo steht das?