Rezension

Sehnsüchte und Einsamkeiten

Nebenan -

Nebenan
von Kristine Bilkau

Bewertet mit 4 Sternen

Im Zentrum dieser leisen Geschichte stehen zwei Frauen, die beide auf verschiedene Art in einer Zeit des persönlichen Umbruchs leben. Astrid erfährt angesichts des am Horizont drohenden Ruhestands einen Wegfall alter Gewissheiten und erhält anonyme Drohbriefe, Julia wünscht sich ein Kind, doch diese Sehnsucht bleibt trotz In-vitro-Fertilisation unerfüllt. Diese Brüche im Lebensentwurf stehen nicht im leeren Raum, die Gesellschaft ist jedoch weniger Trost als vielmehr Brennglas der empfundenen Unzulänglichkeiten. Und so zieht eine jede sich eher zurück ins Private, als nach echter Verbundenheit und Gemeinschaft zu streben.

Ja, es geht viel um das Nebeneinander, das Miteinander – aber vor allem um den Mangel daran.

Nicht von ungefähr gibt es eine ganz reale Leerstelle im Dorf: Eine Familie ist spurlos verschwunden, anscheinend über Nacht, Personifizierung der sozialen Verkümmerung. Sorgen wir uns überhaupt um unsere Nachbarn, gibt es eine Gemeinschaft, die noch etwas bedeutet? Inwiefern ersetzen wir menschliche Kontakte mit sinnentleerten Konstrukten wie Social Media? Leere, immer wieder Leere, der Roman findet viele Bilder und Worte dafür, im Großen wie im Kleinen, ohne plump offensichtlich zu werden. Klimawandel, Kleinstadtsterben, Kinderwunsch, die Geschichte wandert in ruhigem Erzählduktus durch die Themen.

Julia kann sich nicht losreißen von den Instagram-Accounts, die eine heile heteronormative Welt voller niedlicher Kinder und strahlender Übermütter vorgaukeln, obwohl sie sich der Künstlichkeit bewusst ist. Sie tröstet sich damit, sie quält sich damit, und das eine lässt sich vom anderen nicht mehr trennen. Astrid dagegen wird durch die anonyme Post eine echte Auseinandersetzung mit dem Gegenüber verwehrt, und damit auch jede Möglichkeit der Verteidigung. Und das hat etwas sehr Gewaltsames an sich, bewusst dosiert. Im Zeitalter des Ghostings kann die Verweigerung persönlicher Kommunikation passive Nachlässigkeit sein, aber auch eine Form der Aggression.

Neben den beiden Protagonistinnen betreten auch andere Charaktere die Bühne, rücken für kurze Zeit diesen oder jenen Aspekt der ins Wanken geratenen Zwischenmenschlichkeit ins Zentrum. Wer bin ich? Wie behaupte ich meine Individualität und bewahre mir gleichzeitig einen Sinn für Gemeinschaft?

Der Roman lässt das immer wieder anklingen, mit klugem Feingefühl, gibt aber keine Lösungen vor. Das kippt mehrfach um ins still Bedrohliche, ohne dass »Nebenan« jemals auf Effekthascherei zurückgreift. Kristine Bilkau erzählt in einer Sprache der leisen, schlichten Töne, die sowohl Problematik als auch Potential der angesprochenen Themen auf den Punkt bringt – allerdings verzichtet sie darauf, jedes davon auszuerzählen, sie ist eine Meisterung der beredten Andeutung.

Über das Ende können Leser:innen sich sicher streiten, denn die Autorin zieht diese Unverbindlichkeit konsquent durch bis zur letzten Seite: jegliche Antworten, die sie liefert, werfen letztlich weitere Fragen auf.