Rezension

Nähe und Distanz

Nebenan -

Nebenan
von Kristine Bilkau

Zwei Frauen stehen im Mittelpunkt dieses Romans: Julia, Ende dreißig, ist erst vor kurzem mit ihrem Mann aufs Land gezogen. Beruflich kann sie sich als Keramikerin dank des Internets gut behaupten. Ihre tiefe Sehnsucht gilt einem eigenen Kind, aber das erweist sich als überaus problematisch. Astrid ist eine Generation älter, lebt als Landärztin schon lange in der Gegend, hat mit ihrem Mann drei Söhne großgezogen und plant nun einen langsamen beruflichen Ausstieg. 

Nebenan, das bedeutet für Astrid ihre Nenntante, die sich früher um sie gekümmert hat, aber nun eigensinnig wird oder vielleicht auch erste Erscheinungen einer Altersdemenz zeigt. Nebenan, das ist auch ihre Freundin Marli, die sich vor vielen Jahren von ihr zurückgezogen hat. Für Julia ist nebenan das Nachbarhaus, dessen Bewohner auf einmal einfach verschwunden sind. Stattdessen streift nun öfter ein Junge im verlassenen Garten umher. 

Gemeinsames Motiv ist Nähe und Distanz: Wie nah ist uns der Nachbar, der Freund, der Verwandte? Sollen wir uns kümmern als "Hüter unseres Bruders" und tragen Verantwortung - oder ist das Einmischung, Aufdringlichkeit, Übergriffigkeit? Was brauchen wir selbst an Nähe, was wünschen wir uns? 

Je mehr wir als Leser Julia und Astrid kennenlernen, umso mehr können wir ihre Gedanken und Gefühle nachvollziehen. Es gibt aber auch immer wieder Überraschendes zu entdecken; niemals kennen wir sie so ganz, wie wir ja auch im alltäglichen Leben einen anderen Menschen niemals vollkommen kennen können (und wohl auch nicht uns selbst). Das Buch beschreibt einen Ausschnitt aus dem Leben, und wie im Leben gibt es immer wieder neue Verflechtungen, während sich alte auflösen. So werden auch hier nicht alle losen Enden verknüpft und es bleiben manche Fragen offen, was das Buch vor Kitsch bewahrt. Es endet mit dem Satzfragment: "Das Vertrauen in einen anderen Menschen." Ein zutiefst menschlichen Bedürfnis!

Das Buch steht auf der Nominierungsliste zum Deutschen Buchpreis 2022.