Rezension

Serienmörderjagd mit Augenzwinkern

Bis in den Tod hinein - Vincent Kliesch

Bis in den Tod hinein
von Vincent Kliesch

Bewertet mit 4 Sternen

WolfgangB vor 3 Monaten

Ein Fassadenkletterer, der in den Tod stürzt, ein Brandstifter, der in selbst entzündeten Flammen verbrennt, ein Lügner, dem die Zunge abgetrennt wurde ... eine neue Mordserie erschüttert die deutsche Hauptstadt. Beängstigend ist nicht nur die kurze Abfolge, innerhalb der die Hinrichtungen erfolgen, sondern auch der symbolische Charakter: Personen, die sich moralischer Verfehlungen schuldig gemacht haben, finden sich offensichtlich auf einer Todesliste, denn neben jeder Leiche wird eine Zahl gefunden.

Kurze Kapitel, häufige Perspektivenwechsel, offene Enden. Das ist das bewährte Rezept, nach dem Thriller funktionieren, und Vincent Kliesch ist sich dessen voll und ganz bewußt. Daß er kein Freund filigraner Whodunnit-Gespinste ist, erklärte er bereits in einem Interview. So ist dem Leser der Antagonist, ein zwanghafter Ordnungsmensch mit Vaterkomplex auch von Beginn an namentlich bekannt und wird dem Kommissar Severin Boesherz, einem feinsinnigen Wein- und Opernliebhaber gegenübergestellt. Daß die beiden aufeinandertreffen werden, ist so sicher wie der letale Ausgang der Geschichte für den Mörder, offen verbleibt nur, wann und unter welchen Umständen dies geschehen wird.

Das Konzept zum Spannungsaufbau funktioniert zuverlässig aufgrund treuherziger Schemagehorsamkeit, abgesehen von den beiden Hauptfiguren ist keine sonderlich scharfe Figurenzeichnung zu erwarten. Während auf der einen Seite die Opfer ihrer Vergehen gegen die Gesellschaft angeklagt werden und als Exempel dienen, fungiert die junge Beamtin auf der anderen Seite als zuverlässige Stichwortgeberin für Boesherz. Dessen dritte Leidenschaft - neben Tristan und Traubensaft - besteht übrigens darin, seinen Kollegen und damit auch dem Leser seine Erkenntnisse vorzuenthalten, um durch den Wissensvorsprung zu brillieren. Was nun von seinen Mitstreitern als exzentrisch-oberlehrerhafter Wesenszug ausgelegt wird, muß der Leser zwangsläufig als an die Kopie grenzende Anspielung an den berühmtesten Detektiv der Literaturgeschichte interpretieren: Sherlock Holmes nämlich liebt das Doziern und Deduzieren mindestens genauso wie Severin Boesherz, und da dem Autor rituelles Pfeifenstopfen womöglich doch zu anachronistisch erschienen wäre, ersetzt er es durch genüßliches Dekantieren.

Ein interessanter Déjà-Vu-Effekt tritt zu Begin des Romans auf: Als nämlich das durch langsames Verbrennen zu Tode gekommene und mit einer Nummer versehene Opfer beschrieben wird, ertappt sich der Leser dabei, sich zu vergewissern, daß er mit Vincent Klieschs aktuellem Roman und nicht etwa Chris Carters "Vollstrecker" konfrontiert ist ...

Ist "Bis in den Tod hinein" also als austauschbarer Sommerthriller einzustufen?
Ja und Nein.
Denn obwohl Form und Inhalt zwar der Episode einer amerikanischen Krimiserie, Abteilung Psychologie (im Gegensatz zur Pathologie) entsprechen, vermeint man doch zuweilen den Autor zwischen den Zeilen über besagtes Schema schmunzeln zu sehen. Als sarkastische Spitze darf ein kurzer Blick hinter die Kulissen von Castingshows im Fernsehen gelten, im Zuge dessen der Manager, sich der Einordnung seiner Sendung sehr wohl bewußt, resümiert: "Deutschland ist komplett leergecastet."
Severin Boesherz als Kommissar wirkt als Kommissar zudem ungewohnt polarisierend. Besserwisserei oder Brillianz? Die Beantwortung bleibt beim Betrachter. Daß der Autor sich selbst nicht immer hundertprozentig ernst nimmt, läßt sich aus dem Roman erkennen und lockert diesen zuweilen angenehm auf.