Rezension

Sex mit minderjährigen Schülern: Wie weit darf ein Roman gehen?

Tampa - Alissa Nutting

Tampa
von Alissa Nutting

Sie ist 26 Jahre alt. Sie ist außergewöhnlich schön. Sie ist Lehrerin. Und sie steht auf vierzehnjährige Jungen.

Was schockierend klingt, ist das, wonach die Lehrerin Celeste Price sich verzehrt: Sex mit ihren minderjährigen Schülern. Hühnerbrüstige, unerfahrene, neugierige Teenager. Ihr Mann Ford hingegen törnt sie ab. Ausschließlich die Tatsache, dass er finanziell gut situiert ist, lässt Celeste bei ihm bleiben. Ihre Lust lebt sie heimlich aus, allen voran mit ihrem Lieblingsschüler Jack. Doch auch die Tatsache, dass sie dabei mit äußerster Vorsicht zu Werke geht, täuscht nicht darüber hinweg, dass jedes ihrer ungesetzlichen Abenteuer eine tickende Zeitbombe ist, die von einem Moment auf den anderen explodieren kann – mit vernichtender Wirkung…

Das Buch “Tampa” von Alissa Nutting hat in den USA zu äußerst kontroversen Debatten geführt. Auch in den deutschen Medien wurde es bereits heiß diskutiert. Im Zentrum steht vor allem die Frage: Wie weit darf ein Roman gehen? Fakt ist, dass die Autorin mit ihrer Hauptfigur Celeste Price eine schillernde und ebenso faszinierende wie abstoßende junge Frau zur Erzählerin ihres 288-seitigen Romandebüts gemacht hat. Wer die Lehrerin auf die Adjektive “pädophil” und “nymphoman” reduziert, beleuchtet allerdings nur einen Bruchteil des vielfältigen Charakters der von Alissa Nutting entworfenen Figur. Denn Celeste Price ist manipulativ, kaltherzig, aber auch klug, schlagfertig und humorvoll. Und schon befindet man sich als Leser im inneren Zwiespalt, indem man sich die Frage stellt: Darf ich eine Frau, die Unzucht mit Minderjährigen treibt, selbst ansatzweise sympathisch finden?

Seitens der Medienvertreter wurde unter anderem die Frage aufgeworfen, wie es wohl für Alissa Nutting gewesen sein muss, sich beim Schreiben in eine pädophile Lehrerin hineinzuversetzen. Eine reichlich seltsame Frage, wenn man bedenkt, dass es zahllose Krimis und Thriller gibt, die aus der Sichtweise von Mördern geschrieben werden – und zuhauf gelesen werden, denn der Boom des Spannungsgenres ist ungebrochen. Insofern beantwortet sich die Frage, wie weit ein Roman gehen darf, für mich von selbst: Fiktion darf alles, so wie Gedanken alles dürfen. Ich lehne Pädophilie selbstverständlich strikt ab, ebenso wie Mord und Totschlag – und dennoch bin ich eine begeisterte Krimi- und Thriller-Leserin. Allerdings gibt es natürlich sowohl im Fall des Romans “Tampa” als auch bei Belletristik über Mörder durchaus Bezüge zur Realität.

Über dieses Buch lässt es sich vortrefflich streiten. Intensiven und derben Sexszenen mit 14-jährigen Jungen kommt darin eine große Bedeutung zu. Alissa Nutting bricht wortgewaltig Tabus und lässt Grenzen verschwimmen. Allerdings ist “Tampa” keinesfalls ein Roman, der sich aus Effekthascherei durch das Verbotene, bloße Pornografie und Provokation speist. Die Erzählung zeigt das glasklare Profil einer von ständiger Lust getriebenen Frau, die sich nimmt, was sie will, mit der Kombination aus Schönheit und Cleverness geschickt alle Register zieht und panische Angst vor dem Altern hat.

Die durchtriebene Celeste Price hat mich gefesselt wie selten eine Protagonistin zuvor. Diese Tatsache beweist, dass Alissa Nutting ihren Job hervorragend gemacht hat: Denn wie einfach wäre es, den Leser eine solche Frau einfach abscheulich finden zu lassen.

“Tampa” ist jedenfalls schon jetzt eines meiner literarischen Highlights des Jahres 2014. Das Buch mit dem vermeintlich so obszönen Cover hat mich erschreckt, schockiert, fasziniert, erstaunt und mitgerissen. Der Erzählstil ist schlichtweg großartig. Gleiches gilt für die Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch, den Fortgang der Handlung und den besonders gegen Ende stetig ansteigenden Spannungsbogen.

Ich wünsche diesem mutigen Buch viele Leser, die sich ungeachtet des Presserummels ihr eigenes Bild davon machen.