Rezension

solide aber nicht überragend

In Zeiten des abnehmenden Lichts - Eugen Ruge

In Zeiten des abnehmenden Lichts
von Eugen Ruge

Bewertet mit 4 Sternen

Eugen Ruges "In Zeiten des abnehmenden Lichts" schildert die Geschichte einer DDR-Familie über vier Generationen hinweg und gleichzeitig den Untergang der DDR, weniger anhand makanter historischer Daten, als vielmehr in den Köpfen seiner Protagonisten, die sich von Generation zu Generation stärker von Ideologie und Staat distanzieren.

Die erste Generation bilden Charlotte und Wilhelm, durch und durch überzeugte Sozialisten, die die Nazi-Zeit im mexikanischen Exil verbrachten und 1952 in die DDR zurückkehren. Charlotte ist eine gebildete und ehrgeizige Frau, die unter der mangelnden Anerkennung ihres Mannes leidet und zunehmend in Verachtung und Hass auf ihn versinkt.
Wilhelm dagegen ist der klassische Proletarier, weniger gebildet, aber aufgestiegen als Parteilfunktionär (seit 1919 in der Partei), mit Geheimdienstvergangenheit und bis zum Schluss überzeugt von der DDR und auch von sich selbst.

Charlottes Söhne, Kurt und Werner, wurden unter Stalin ins Arbeitslager ins Ural verbannt. Kurt kehrt später mit seiner russischen Frau Irina zurück nach Ost-Berlin und wird zu einem führenden, linientreuen Historiker, während Irina - immer unglücklicher geworden durch die Schwiegermutter, die eigene Mutter, die sie aus Russland zu sich geholt hat, Kurts Untreue und den Streitereien zwischen Kurt und ihrem Sohn Alexander - sich durch Alkohol tröstet und stark abhängig wird. Kurts Bruder Werner dagegen hat die Verbannung nicht überlebt und wird zum Tabu-Thema in der Familie.

Alexander ist die eigentliche Hauptfigur des Romans. Um ihn dreht sich die Geschichte nach der Wende, 2001, als Kurt bereits demenzkrank ist und Alexander von seiner eigenen Krebserkrankung erfährt. Alexander lehnt sich als erster offenen gegen seine Eltern und das System. Er bricht das Studium ab, streitet ständig mit dem Vater, verlässt Frau und Kind und flieht zu guter Letzt 1989 nach Westdeutschland. 2001 reist Alexander nach Mexiko, wo er in Anbetracht des nahenden eigenen Todes noch einmal in die Welt der Großeltern abtaucht.

Sein eigener Sohn Markus hat sich nach der Trennung der Eltern immer mehr vom Vater entfremdet und steckt gleichzeitig fest im Konflikt mit dem neuen Partner der Mutter, den er nicht als Vater akzeptieren kann. Zudem hat er Drogenprobleme. Mit Parteifunktionären will er nichts mehr zu tun haben, auch nicht auf der Beerdigung seiner eigenen Großmutter Irina.

Der Roman erzählt die Geschichte unchronologisch, beginnt 2001, als Alexander den demenzkranken Kurt besucht, und wechselt dann zwischen Protagonisten und Jahren ohne erkennbare Regel.
Besonders gelungen ist die Struktur des Romans durch ein zentrales Ereignis, dem 90. Geburtstag Wilhelms und gleichzeitig Tag Alexanders Flucht aus der DDR am 1. Oktober 1989, der insgesamt sechsmal aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird und dem Roman so ein außergewöhnliches Zentrum bietet, das ihn von anderen linear erzählten Familiengeschichten abgrenzt.
Die Sprache des Romans ist schlicht, beinahe unauffällig, und sehr klar.

Was mir weniger gefallen hat, war, dass mit Ausnahme von Irina alle Charaktere sehr eindimensional gezeichnet waren. Der Autor gibt sich alle Mühe möglichst viel "schlechtes" in die Familie zu stecken, von diversen Krankheiten, Verfehlungen und persönlichen Schicksalen bis hin zu gegenseitiger tiefer Verachtung und Hass. Dadurch erschafft er ein für DDR-Geschichten oft typisches und leider auch klischeehaftes Bild von Dunkelheit und Unglück mit einer in jeder Beziehung zerrütteten Familie, aber leider wenig Tiefe und vor allem kaum Emotionen. Nur Irina ist abwechslungsreicher und nur für sie konnte ich mich begeistern, während der Rest mir blass und oft langweilig erschien.
Leider konnte der Roman die Faszination des ersten Kapitels, das mich noch beeindruckt hat, auch nicht über die gesamte Länge aufrecht erhalten. Vor allem Alexanders Zeit in Mexiko zog sich für mich etwas langatmig dahin.

Als Fazit würde ich daher ziehen, dass ich mit "in Zeiten des abnehmenden Lichts" einen guten, soliden Roman vorgefunden habe, der durch seine schlichte Sprache gut, aber nicht ereignis- oder emotionsreich zu lesen war und von dem am Ende durch die Farblosigkeit der meisten Protagonisten auch nicht so viel hängen blieb, wie ich es mir erhofft hatte.
Ein insgesamt gelungenes, aber für mich kein überragendes Buch.