Rezension

…ungewöhnliche Märchen-Sammlung für Erwachsene mit farbenfrohen Illustrationen!

Das Buch der Mythen und Märchen -

Das Buch der Mythen und Märchen
von Yoshi Yoshitani

Märchen schreibt die Zeit,
immer wieder wahr,
eben kaum gekannt,
dann doch zugewandt,
unerwartet klar.

…summte ich vor mich hin, als ich erstmals durch die Seiten dieses Buches blätterte. Ein Blick auf die Vita der Künstlerin offenbarte mir, dass ich instinktiv den passenden Song geträllert hatte. So hatte Yoshi Yoshitani u.a. schon für Produktionsfirmen wie Disney und Dreamworks gearbeitet. Dabei sind die Illustrationen zu diesem Buch fern jeglicher Disney-Romantik. Vielmehr hat Yoshitani Geschichten aus aller Welt ausgewählt, deren Handlung sich so manches Mal recht drastisch entwickelt und sich somit nicht als Gute-Nacht-Geschichte für die Kleinen eignet. Dies war von der Künstlerin auch nicht beabsichtigt: Vielmehr wendet sie sich an eine erwachsene(re) Leserschaft, die aus den Märchen und Mythen Inspirationen für das eigene Leben ziehen sollen. Passend zum Buch (und nicht im Buch inbegriffen) gibt es ein Tarot mit allen 78 Illustrationen als Karten-Set. So tauchen bei den Bildern immer wieder die aus dem klassischen Tarot geläufigen Symbole, wie Schwerter, Kelche, Münzen und Stäbe, auf. Besonders bei den Illustrationen zu den mir bekannten Geschichten irritierten mich anfangs diese Symbole etwas, da sie für mich keinen nachvollziehbaren Bezug zur Handlung hatten. Später nach wiederholter Betrachtung der Bilder konnte ich dies gut als ein rein gestalterisches Element akzeptieren.

Für jedes Märchen hält die Künstlerin eine Doppelseite bereit: Während die linke Seite eine farbenfrohe Illustration ziert, wird auf der rechten Seite der Inhalt wiedergegeben. Hierbei handelt es sich allerdings eher um Nacherzählungen aus der Feder der Autorin und weniger um die Wiedergabe des Original-Textes. Die Ursprungsländer der Original-Geschichten umspannen den gesamten Erdball. Da sind die uns bekannten Märchen von Hans Christian Andersen und den Brüdern Grimm ebenso vertreten, wie die Märchen aus Frankreich oder England. Persische bzw. orientalische Volksmärchen finden sind neben Mythen aus West- und Nordafrika. Auch Geschichten aus Japan, China und Vietnam dürfen hier nicht fehlen. Die Nordischen Sagen aus Alaska oder Norwegen stehen ebenbürtig neben Erzählungen aus Indien, Ägypten und Griechenland. Und auch der amerikanische Kontinent, Australien und Russland werden mit ihren oft jahrhundertealten Überlieferungen nicht vergessen.

Im Mittelpunkt der Geschichten steht oft ein Lebensumbruch mit dem die Held*innen umzugehen versuchen. Dabei verzichtet die Autorin wohltuend auf das abgegriffene Klischee der hilflosen Prinzessin, die darauf wartet, dass ein wagemutiger Prinz auf seinem weißen Pferd angetrottet kommt, um sie aus ihrer misslichen Lage zu erretten. Vielmehr strahlen gerade die weiblichen Figuren eine enorme mentale wie körperliche Stärke aus und brauchen sicherlich so einiges zur Lösung ihres Problems aber definitiv keinen depperten Prinzen.

Bei dieser üppigen Auswahl an internationalen Geschichten wird nur allzu deutlich, dass die Menschen – egal wo sie leben – ähnliche Ängste und Sehnsüchte haben. Wir sind im Grunde eben doch nur ein Erden-Volk, was sich auch anhand einer ähnlichen Grundstruktur von Märchen aus unterschiedlichen Ländern widerspiegelt. So findet Die kleine Meerjungfrau (Dänemark, Seite 23) ihre Schwester in Julnar die Meerfrau (Persien, Seite 145). Die Schöne und das Biest (Frankreich, Seite 121) könnten mit Der weiße Bär König Walemon (Norwegen, Seite 131) verwandt sein. Und sowohl Die wunderschöne Wassilissa (Russland, Seite 101) als auch Die gute Fee (Frankreich, Seite 167) zeigen deutliche Ähnlichkeiten zu „unserem“ Aschenputtel.

Dank ihrer Eltern vereinen sich in Yoshi Yoshitani sowohl die japanische wie auch die US-amerikanische Kultur und nehmen so Einfluss auf ihre Werke. So meinte ich (aus meiner europäischen Sichtweise heraus), die besondere Ästhetik japanischer Grafiken in den Illustrationen wiederzuerkennen. Ihre Farbwahl erzeugt eine Lebendigkeit, die so die Aufmerksamkeit des Betrachtenden auf die Details lenkt. Die Illustrationen strahlen zudem eine enorme Dynamik aus, und es wirkt beinah so, als wären die Figuren in einer stetigen Bewegung.

Die kulturellen Besonderheiten eines Landes werden durchaus wiedergegeben aber nie protzig hervorgehoben. Vielmehr wird vermittelt, dass das besagte Märchen zwar in einem bestimmten Land spielt und somit die Kulisse passend gewählt wurde. Allerdings könnte sich die Geschichte auch in jedem anderen Land zugetragen haben. Stichwort: Erden-Volk!

Dank Yoshi Yoshitani kann ich meine Märchenbuch-Sammlung um ein weiteres interessantes Werk ergänzen, das mit seiner Auswahl an Geschichten ganz wunderbar einen Bogen um den Erdball spannt und so Länder und Völker miteinander verbindet.