Rezension

Unglaublich einfühlsam - Entdeckung!

Das Leuchten in mir - Grégoire Delacourt

Das Leuchten in mir
von Grégoire Delacourt

Bewertet mit 5 Sternen

Delacourt macht das Unbegreifliche greifbar und lässt den Leser wortgewaltig in die Gefühlswelt einer 'unerlaubt' verliebten Frau eintauchen.

Grégoire Delacourt, der französische Autor von 'Das Leuchten in mir', war mir bisher kein Begriff - aber jetzt werde ich den Namen nie mehr vergessen. Ich hatte das große, große Glück, genanntes Buch bereits vor dem offiziellen Erscheinen im August 2019 als Ebook zu lesen, doch spiele ich ernsthaft mit dem Gedanken, es mir bei Erscheinen auch als Print zu kaufen, einfach weil es mich so sehr berührt und begeistert hat.
Die Sprache von Delacourt, meisterhaft übersetzt von Claudia Steinitz, hat mich in dieser Lektüre zutiefst gefesselt. Dem Autor gelingt es, die Gefühlswelt einer Frau, die - zugegeben (das muss ich selbst eingestehen) - manchmal schwer greifbar und extrem ausgeprägt sein kann, in einer Tiefe zu erfassen, wie man es von einem Mann niemals erwarten würde. Ich möchte behaupten, dass es auch vielen Frauen schwer fiele, sich so gut, offen und ehrlich zu analysieren. 

"Ich wollte keinen Geliebten. Ich wollte einen Rausch."

Allein in diesen zwei Sätzen steckt schon so viel, was den Roman ausmacht. Delacourt durchblickt, was hinter dem Offensichtlichen und Augenscheinlichen liegt und erkennt die Wahrheit in den überraschenden Gefühlen, die die verheiratete Mutter dreier Kinder, die Protagonistin Emma, plötzlich für einen wildfremden Mann empfindet, dem sie im Café begegnet. Trotz ihrer 'offiziellen' Unbeschwertheit und dem großen Glück, das sie mit ihrer Familie lebt, fühlt sie sich zu diesem Mann mehr und mehr hingezogen und entschließt sich schließlich dazu, mit ihm komplett neu anzufangen und ihre Familie zu verlassen. 
Immer und immer wieder und immer anders geht Emma die Vorwürfe und Einwände durch, die man gegen ihre Gefühle anbringen kann. Aber genauso oft und gleichsam nachvollziehbar schildert sie, woher ihre Sehnsucht rührt, welche Hoffnungen und innersten Bedürfnisse sie fühlt. Sie versteht die Wut ihrer Familie, aber genauso glaubt sie zu wissen, was sie für sich selbst tun muss. 
Das Buch liefert keine Entschuldigung für eine Frau in Emmas Situation, aber es zeigt auf, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt, dass eine Entscheidung für das eine nicht immer eine komplette Ablehnung gegen das andere sein muss. 

Die Geschichte im Buch, die neben der Sehnsucht nach etwas Neuem auch von der tiefen Liebe erzählt, die die Zeit zwischen Familienmitgliedern entstehen lässt, ist durchwebt von einem Schleier der Traurigkeit. 
"Die Hoffnung reicht nicht aus, sie ist die Negation des Augenblicks."
" 'Ich liebe dich' heißt, ich werde dich lieben. [...] Die Gegenwart ist die einzige Gewissheit, die einzig mögliche Insel in der Leere."
- Délacourt stellt teilweise geradezu philosophische Beobachtungen über menschliche Gefühle, das Timing in unserem Empfinden und unserer Sprache an. Was das Besondere daran ist, ist, dass es sich nicht philosophisch anfühlt, sonder schlicht wahr. 'Ja, ja genau so ist es!', will man dem Autor zustimmen, nachdem man realisiert, dass er SO Recht hat. Doch ist man vom Fluss der Geschichte so mitgerissen und übervoll an Mitgefühl für alle Figuren darin, dass man sich nicht erlaubt, innezuhalten. Dankenswerterweise fasst der Autor diese Beobachtung selbst in Worte: "Wenn dir die Vernunft keine Antwort gibt, suche sie in der Poesie."

Délacourt bringt, was er sagen will auf den Punkt. Manchmal reicht dann auch ein Satz für ein Kapitel. Dass die Kapitelnummerierung erst rückwärts läuft und dann vorwärts, macht auf simple aber geniale Weise klar, welches Ereignis der Klimax des Buches ist. 

Strukturell, wie auch sprachlich absolutes Top-Niveau und eine große Entdeckung für mich!
 

Kommentare

Brocéliande kommentierte am 23. Juni 2019 um 23:25

ein wirklich toller Autor - *unterschreib* !!!