Rezension

Was Familie mit uns macht - ein berührender Roman über Mütter und Töchter, weibliche Selbstbehauptung und intergenerationale Traumata

Wir sitzen im Dickicht und weinen -

Wir sitzen im Dickicht und weinen
von Felicitas Prokopetz

Bewertet mit 4.5 Sternen

Traurig, schmerzhaft und lebensnah erzählt Felicitas Prokopetz eine Familiengeschichte über vier Generationen. Im Fokus stehen dabei die Frauen der Familie, das Streben nach weiblicher Selbstbehauptung, dessen Auswirkungen auf Mutterschaft und nicht zuletzt die Komplexität von Mütter-Töchter Beziehungen.

 

Valerie ist Ende 30, alleinerziehend, ihr Sohn Tobi gerade 16, da erkrankt ihre Mutter Christina schwer an Krebs. Die seit jeher angespannte Beziehung zwischen Mutter und Tochter, wird damit einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt. Diese Grenzsituation lässt auf beiden Seiten alte Wunden aufbrechen, Christinas frühe Verzweiflung an der Mutterrolle und einem noch immer konservativen gesellschaftlichen Frauenbild, die sich nicht mit ihrem Bedürfnis für Autonomie vereinbaren hat lassen, und Valeries Kindheitsgefühle aus daraus erlebter Vernachlässigung, Verletzung und Kränkung, die sie durch ihre Mutter aushalten musste, offenbaren so die Dysfunktionalität aber auch Komplexität der Beziehung.

 

In Rückblicken wird ergänzend zu Valerie zum einen die Geschichte von Christinas eigenem Aufwachsen und ihrer eigenen entbehrungsreichen Rolle als Valeries alleinerziehende Mutter erzählt. Zum anderen lernen wir auch Christinas Mutter Martha in ihrer Mutterrolle und Valeries Großmutter väterlicherseits Charlotte und deren Aufwachsen kennen. 

 

Dabei beweist die Autorin ein Gespür für das Sowohl-Als-Auch komplexer sozialer Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern in denen Verletzungen und Glück zuweilen nebeneinander stehen.

 

Prokopetz arbeitet Schicht für Schicht, Generation für Generation heraus, wie die verschiedenen Frauen mit ihrer Rolle als Frau und Mutter in einem zutiefst patriarchalen-konservativen Milieu hadern. Ihr Leiden und die Unzufriedenheit, die sich daraus ergeben, bekommen viel zu oft die Töchter zu spüren. So wird deutlich wie unbewusst die eigenen Traumata in der Erziehung weitergegeben werden. Auffällig ist: jede der porträtierten Frauen ist, unabhängig ob in Partnerschaft oder nicht, weitgehend allein mit diesem Kampf um weibliche Selbstbehauptung und der Verantwortung als Mutter.

 

Für all dies braucht Felicitas Prokopetz nur relativ wenige Zeilen und Worte, der Roman ist mit rund 200 Seiten recht schmal. Oft finden wir nur Andeutungen in der Erzählung, nicht alle Beziehungen, Konflikte und Herausforderungen werden im Detail hergeleitet und erläutert. Für mich ist dies eine weitere Stärke des Buchs, denn die Autorin schafft es mit wenigen Worten, komplexe Beziehungsmuster herauszuarbeiten und so zum Nachdenken anzuregen. Die Leerstellen schaffen Raum für Interpretation und letztlich auch Variationen von Mütter-Töchter-Beziehungen ohne, dass dabei die Essenz der Erzählung verloren geht. 

Wer eine detailreich erzählte Familiengeschichte erwartet, wird jedoch eventuell enttäuscht werden. 

 

Wir sitzen im Dickicht und weinen lässt gekonnt und sensibel erzählt ein Familienporträt durchzogen von intergenerationalen Traumata und komplexen Mutter-Töchter-Beziehungen entstehen, das unbedingt lesenswert ist und weitere Veröffentlichungen der Autorin mit Spannung erwarten lässt.