Rezension

Weltraum-Krimi, der nach dem Ende Weißer Herrschaft spielt

Fern vom Licht des Himmels -

Fern vom Licht des Himmels
von Tade Thompson

Bewertet mit 4 Sternen

Die zehnjährige Reise vom Planeten Erde zur Weltraumkolonie Bloodroot hätte Michelle/Shell Campion wie die 1 000 anderen Passagiere, von Medbots überwacht und künstlich ernährt, in einer sargartigen Kabine der Ragtime verdämmern können. Doch da ihre Ausbildung als Kommandantin noch nicht abgeschlossen ist, dient ihr ihre erste interstellare Mission als willkommene Gelegenheit, Raumjahre und damit Erfahrungen zu sammeln, auf die ihr nächster Karriereschritt aufbauen wird. Shell ist zwar für diverse Notfallszenarien trainiert, aber nicht darauf vorbereitet, dass an Bord ihres Schiffs an die 30 Leichen gefunden werden. Die Beseitigung nur einer Leiche allein würde schon genug Scherereien verursachen; denn Flüssigkeiten an Bord sind Ende des dritten Jahrtausends die ultimative Horrorvorstellung der Besatzung. Als Shell gemeinsam mit dem Repatriierer Rasheed Fin und seiner „künstlichen Partnerin“ Salvo das sonderbare Ereignis untersucht, stellt sich ihr und auch mir als Leserin u. a. die Frage, wer die sprachgesteuerte künstliche Intelligenz an Bord steuert und aus welchem Interesse heraus. KIs haben in Shells Epoche die Stellung von Bürgern erreicht, auch wenn sie bisher noch nicht wählen dürfen. Die Darstellung künstlicher Intelligenz in Form einer Person ist für mich auch nach einigen SF-Romanen noch immer gewöhnungsbedürftig.

Hautfarbe ist in den Teams der nahen Zukunft offenbar längst kein Thema mehr; doch winzige Hinweise auf die gute alte Yoruba-Kultur sind erkennbar. Nach ihrem Scheitern war die Erde offenbar eine Weile vom Stamm der nigerianischen Yoruba regiert worden. Englisch und Yoruba sind daher noch Amtssprache, während im All u. a. Arabisch, Russisch und Chinesisch geduldet werden. Bei der Aufklärung der Todesfälle stellt sich aus verschiedenen Blickwinkeln die Frage, welchen humanoiden Anteil die Wesen haben, mit denen Thompsons Figuren kooperieren sollen, und welchem großen Unbekannten die Einzelnen eigentlich dienen. Die Einordnung ist nicht immer eindeutig und das Rätseln darüber macht einen Teil der Spannung aus. Über Shell, die aus traditionsreicher Astronauten-Familie stammt, konnte ich leider nur wenig erfahren, anders als über Fin (jung, selbstbewusst, angeblich vorher noch nie gescheitert), der sich als Figur mit komplizierter Vorgeschichte entpuppte. Ähnlich wie auf Shell haben auch auf Fin dessen Ausbilder hohe Erwartungen gesetzt.

Der Roman zeichnet sich durch seinen augenzwinkernd-ironischen Unterton aus, mit dem z. B. das Gendern oder die Vergangenheit der Branche in Form der NASA bespöttelt wird. Die Erzählerstimme ist offenbar extrem gut über die Motive der Handelnden informiert, obwohl diese oft weit entfernt von der offiziellen Version liegen. Die Vorstellungskraft der erzählenden Person stößt jedoch an Grenzen – z. B. in der Frage, warum Fin vor dieser Mission derartig abstürzen und verlottern konnte. Zur Unterhaltung der Leser:innen dieses interstellaren Locked-In-Falls kreisen an Bord diverse Bots, vom wehrhaften Arachnobot, über den gutmütigen Reparaturbot, bis zur kriegerischen Kampfeule.

„Fern vom Licht des Himmels“ fordert von seinen Lesern einige Konzentration; weil die Vorgeschichte der Hauptfiguren erst in der zweiten Hälfte des Romans allmählich auf den Tisch kommt und das m. A. zu Lasten der Spannungskurve geht. Nicht immer war mir sofort klar, ob im Dialog gerade die KI eines Raumschiffs, einer Station oder einer Kolonie direkt angesprochen wird. Es geht u. a. um hochinteressante Überlegungen, wer für eine KI einspringt, die offenbar Werkzeug fremder Mächte ist, und ob man selbst durch eine KI zu ersetzen wäre. Auch wenn ich Thompsons Weltraumkrimi mit seinen Leichen der unappetitlichen Art anstrengend zu lesen fand, lohnt vermutlich ein Blick auf seine früheren Romane.