Rezension

Wenn es niemanden mehr gibt, dem du trauen kannst...

Sternenfeuer: Vertraue Niemandem - Amy Kathleen Ryan

Sternenfeuer: Vertraue Niemandem
von Amy Kathleen Ryan

*Worum geht's?*
Den Mädchen ist es gelungen, von der "New Horizon" zu fliehen und zu den Jungen auf die "Empyrean" zurückzukehren - aber ohne ihre Eltern. Voller Verzweiflung und Sehnsucht versuchen die Kinder Pläne zu schmieden, wie sie ihre Mütter und Väter befreien können. An eine ruhige Lösung ohne Opfer ist kaum zu denken... Während Kieran seine Aufgabe als Kapitän des Raumschiffs über den Kopf wächst und er zu fürchterlichen Mitteln greift, muss sich Waverly den Blicken der anderen aussetzen. Denn in den Augen der anderen Kinder ist sie es, die die Schuld daran trägt, dass ihre Eltern noch immer auf der "New Horizon" gefangen gehalten werden. Sie beide sind mit ihren Gedanken und Gefühlen so überfordert, dass sie die wahre Gefahr auf der "Empyrean" nicht erkennen. Nur Seth, der in der Arrestzelle des Raumschiffs festgehalten wird, ahnt, dass ein blinder Passagier an Bord ist, der nichts Gutes im Schilde führt...

*Kaufgrund:*
Nach dem grandiosen ersten Teil "Sternenfeuer: Gefährliche Lügen" musste ich unbedingt wissen, was sich Amy Kathleen Ryan für den weiteren Teil ihrer Geschichte ausgedacht hat.

*Meine Meinung:*
Willkommen zurück auf der "Empyrean"! Den Mädchen ist es gelungen, von der "New Horizon" zu fliehen und zu den Jungen zurückzukehren - allerdings ohne ihre Eltern. Seitdem ist einige Zeit vergangen und viele Dinge haben sich verändert. Nicht nur auf dem Raumschiff, sondern auch in den Köpfen der Bewohner. Der Titel "Vertraue Niemandem" passt perfekt zum zweiten Band der "Sternenfeuer"-Trilogie, denn er spiegelt exakt wieder, was für eine Stimmung auf dem Raumschiff herrscht. Die Jungen und Mädchen haben nach dem Überfall auf ihre Heimat und dem Verlust ihrer Eltern verlernt, zu vertrauen. Auch unter sich können sie sich nicht mehr sicher sein, dass sie sich aufeinander verlassen können. Und dann gibt es noch einen blinden Passagier an Bord, der alle zusätzlich in Angst und Schrecken versetzt...

Nach dem ersten Kapitel fühlt man sich zunächst ein wenig überfordert, wenn man nicht mehr alle Ereignisse und Personen aus dem ersten Teil im Gedächtnis hat. Die Devise lautet jedoch "Nicht verzagen - abwarten!", denn ab dem zweiten Kapitel lässt die Autorin nach und nach die wichtigsten Geschehnisse durch die Protagonisten Revue passieren. Besonders Waverly hilft dem Leser mit ihren Rückblicken und Anmerkungen, schnell wieder in die Geschichte zurückzukommen und einen reibungslosen Anschluss an den zweiten Band zu finden.

Kaum hat man sich wieder auf der "Empyrean" zurecht gefunden, hält einen eine nervenzerreißende Spannung in Atem. Ein blinder Passagier ist an Bord des Raumschiffs, schreckliche Attentate fordern ihre Opfer und die Anspannung, die in der gesamten Atmosphäre zu spüren ist, macht aus den Kindern, die zueinander halten sollten, vorsichtige Späher, die aus jedem einzelnen Ereignis ihre eigenen Schlüsse ziehen. Amy Kathleen Ryan hat die Identität des wahren Täters großartig geheim gehalten und den Leser mit den Charakteren auf eine rätselhafte Suche geschickt, die grausamer kaum sein könnte. "Sternenfeuer: Vertraue Niemandem" war für mich ein Buch voller Nervenkitzel und hat an so einigen Stellen mein eigenes Herz zum Rasen gebracht.

Das spektakuläre Ende, auf das der Roman hinarbeitet, hat mich sprachlos gemacht. Diese Wendung der Geschichte habe ich zwar erahnt, aber als sie dann tatsächlich eintrat, hat es mich stärker mitgerissen und beeindruckt als so manch anderer, überraschenderer Ausgang einer Geschichte. Ich hätte Gänsehaut und verspürte das dringende Bedürfnis, selbst in das Buch zu steigen und zu handeln!

Was ich bereits zu "Sternenfeuer: Gefährliche Lügen" schrieb, kann ich nun nur noch einmal ausdrücklich betonen: Bei dieser Trilogie handelt es sich keinesfalls um Jugendbücher! Amy Kathleen Ryan behandelt in ihrer Reihe Themen, die für junge Leser viel zu extrem und definitiv unangebracht sind. Psychische und physische Gewalt stehen hier an der Tagesordnung und die Autorin nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, sie ausführlich zu beschreiben. Besonders die körperlichen Schmerzen, die die Charaktere in diesem Band ertragen müssen, sind mir an die Nieren gegangen und haben mich innehalten lassen - und dabei falle ich bereits um einige Jahre aus der Altersempfehlung heraus!

Kieran entwickelt sich von Seite zu Seite mehr zu einem Charakter, dem die Macht zum Verhängnis wird. Mit dem Protagonisten, den man in "Sternenfeuer: Gefährliche Lügen" kennenlernen durfte, hat dieser Kieran nur noch wenig gemein. Es ist nicht länger fair, verantwortungsbewusst und gutmütig, sondern egozentrisch, übermütig und autoritär. Seine Rolle als Kapitän der "Empyrean" wächst dem jungen Mann, der im ersten Teil einen besonnen und klugen Eindruck hinterlassen hat, über den Kopf. Er lässt sich von der Macht verführen und verliert seine eigenen Vorstellungen und Wünsche aus den Augen. Kieran leitet das Schiff nicht, er beherrscht es und entwickelt sich sogar zu einem Diktator, einem Scheusal, der jeglichen Sympathiebonus aus dem ersten Band zunichte macht.

Waverly hat sich bereits im ersten Band der Trilogie enorm verändert. Die schlimmen Geschehnisse, die sie auf der "New Horizon" erleiden musste, haben aus dem lieben und netten Mädchen eine knallharte Rebellin gemacht. Ich habe erwartet, dass sie in "Sternenfeuer: Vertraue Niemandem" wieder etwas mehr zu sich selbst zurückfinden würde, doch Waverly sollte mir beweisen, dass es noch extremer geht. Erst jetzt zeigt sie, was wirklich aus ihr geworden ist, zu was sie die Bewohner der "New Horizon" gemacht haben. Die Gier nach Rache, nach einer grausamen und brutalen Vergeltung ist es, die Waverly vorantreibt und ihr Leben von nun an bestimmt. Waverly ist kaum noch wiederzuerkennen und erschreckt mit einer gefühllosen Kälte, die man ihr nicht zugetraut hätte.

Die beiden Protagonisten Kieran und Waverly sind in der Tat alles andere als liebenswert, trotzdem haben sie mir unheimlich gut gefallen. Amy Kathleen Ryan hat an ihren Charakteren großartig verdeutlicht, welche Auswirkungen psychischer und physischer Missbrauch auf einen Menschen haben können, wie stark traumatisierende Ereignisse sie verändern können. Kieran und Waverly überzeugen mit unglaublicher Tiefe und erschreckend realistischen Charakterentwicklungen, die einem einen Schauer über den Rücken laufen lassen. Obwohl ihre extremen Gedanken einen manchmal sogar abstoßen und man sich mit ihnen kaum identifizieren kann, möchte man unbedingt wissen, wie es mit ihnen weitergeht - und ob sie ihre Misshandlungen jemals werden verarbeiten können.

Seth, der in diesem Teil ebenfalls eine Protagonistenrolle einnimmt, entwickelt sich erstaunlicherweise in eine gegensätzliche Richtung. Während Kieran immer unsympathischer wird, wird der Bösewicht des ersten Bandes immer umgänglicher und menschlicher. Mit seiner ehrlichen und charmanten Art nimmt er die Leser ganz für sich ein. Man fühlt mit ihm mit und ertappt sich sogar selbst dabei, wie man sich wünscht, dass er Kieran als Anführer der "Empyrean" ablöst - ein Gedanke, der in "Sternenfeuer: Gefährliche Lügen" völlig undenkbar gewesen wäre!

Was den romantischen Part der Geschichte betrifft, ist genau das eingetreten, was ich bereits im ersten Teil der Trilogie befürchtet habe: Die Beziehung von Waverly und Kieran muss mit einigen Komplikationen kämpfen. Die Ereignisse haben sie zu sehr geprägt, sie zu stark verändert und sie zu Menschen gemacht, deren Vorstellungen sich nicht mehr miteinander vereinen lassen. Sie haben noch Gefühle füreinander - allerdings nur für ihre alten Persönlichkeiten und nicht zwangsläufig für die Personen, zu denen sie geworden sind. Die Ereignisse auf der "Empyrean" lassen es vorerst nicht zu, dass sich Waverly und Kieran wieder annähern. Auf romantische Szenen müssen "Lovestory"-Fans in "Sternenfeuer: Vertraue Niemandem" deshalb verzichten. Einen Abbruch tut dies der Geschichte allerdings keinesfalls, denn liebevolle Momente zum Schwärmen würden schlichtweg nicht in die Geschichte hineinpassen.

Amy Kathleen Ryans Schreibstil ist ein wahrer Lesegenuss. Sie schafft es wie kaum eine andere Autorin, die Gefühle ihrer Charaktere direkt auf den Leser zu übertragen. Jede Emotion spürt man am eigenen Körper, in der eigenen Seele, als würde man selbst in der Situation stecken und sie erleben müssen. Dadurch erlebt man "Sternenfeuer: Vertraue Niemandem" so intensiv, dass man es nicht aus der Hand legen kann.

*Cover:*
Der Bezug zum Roman ist mir leider nicht ersichtlich. Das Cover passt super zum Vorgänger und ist sicher ein aus der Reihe tanzender Blickfang, aber mich konnte es nicht überzeugen. "Schick" und "schön" hin oder her, ich möchte, dass ein Cover seine Geschichte repräsentiert und nicht bloß hübsch anzuschauen ist!

*Fazit:*
"Sternenfeuer: Vertraue Niemandem" von Amy Kathleen Ryan ist eine grandiose Fortsetzung, die seinem Vorgänger in keinem Punkt nachsteht. Die Handlung bietet spannende Lesestunden und kann den Lesern mit Ryans Portion Psycho-Horror eine Gänsehaut bereiten. Die Charaktere waren für mich das Highlight des Romans: Waverly und Kieran sind kaum noch wiederzuerkennen und zeigen ihre dunklen Seiten, die alles andere als sympathisch, aber definitiv überzeugend und packend sind. Her mit Band drei - ich kann und will nicht länger warten! Für "Sternenfeuer: Vertraue Niemandem" gibt es 5 Sterne.