Rezension

Wer von einer Fülle von Ideen und gelungenen Sprachbildern Kopfschmerzen bekommt, der meide dieses Buch!

Gewitter über Pluto - Heinrich Steinfest

Gewitter über Pluto
von Heinrich Steinfest

Bewertet mit 5 Sternen

Wer von einer Fülle von Ideen, gelungenen Sprachbildern und Sprachwitz Kopfschmerzen bekommt, der meide dieses Buch. Auch solche Leserinnen und Leser, denen die Gesichtshaut wehtut, wenn sie lächeln, grinsen oder gar laut lachen müssen, seien eindringlichst gewarnt!

Für diese beiden Gruppen gibt’s nur einen Rat: Besorgen Sie sich einen Bagger, heben Sie ein Fundament aus, werfen Sie das Buch hinein und bauen ein Haus darauf! Nur so können Sie vor diesem Buch sicher sein! Und falls Ihnen irgendein Rüpel dieses Buch noch mal schenken sollte: Wiederholen Sie das Ganze (Haus abreißen, Fundament ausgraben, Buch rein, neues Haus drauf) – jeder weiß: Medizin, die hilft, muss manchmal bitter und teuer sein! (Die Krankenkasse wird die Kosten vermutlich nicht übernehmen.) Allen anderen Leserinnen und Lesern sei die Lektüre dieses Buchs wärmstens empfohlen!

Der Plot: Eines Morgens um 4 wird Lorenz Mohn – ausgebildeter Physiker und von Beruf Pornodarsteller – klar: Er kann diesen Beruf nicht weiter ausüben! (»Vier Uhr morgens, das klingt nach: Zum Abnehmen zu spät, zum Fettwerden zu früh. Oder wie wenn jemand sagt: Kinder, ich würde gerne auswandern, nur leider kann ich meine Schuhe nicht finden«, S. 9.) Aber was stattdessen tun? Die Erleuchtung kommt ihm während seines letzten Drehs (den er dann abbricht – es geht einfach nicht mehr!) beim Anblick einer Kollegin, die auf ihren »Einsatz« wartet und strickt: Lorenz wird einen Laden mit Strickwaren eröffnen, den er – wie ihm bald klar wird – »Plutos Liebe« nennen wird. Das zur Existenzgründung erforderliche Geld leiht er sich bei Claire Montbard (ja, die Claire Montbard! Die Grand Dame der Wiener Unterwelt), einer privaten Geldverleiherin: 200.000 Euro. Bedingung: Er muss das Geld (zinslos) nach auf den Tag sieben Jahren zurückzahlen – oder ein Leben retten.

»Gewitter über Pluto« spielt in Wien, zudem in Stuttgart, Singen, den Bergen Colorados – und im Weltall. Das Buch umfasst 30 Kapitel – nummeriert von 1–31, aber Kapitel 13 ist aus Gründen des Aberglaubens weggelassen: »Wenn … Flugzeughersteller und Airlines sich bemüßigt fühlen, die Gefahr der Zahl 13 durch schlichtes Weglassen zu bannen, so sollte dies in einem guten Roman ebenso der Fall sein« (S. 422 f.).

Der Autor muss in seinem Haus irgendwo einen unaufhörlich sprudelnden Quell von Ideen haben. Mit seinen Sprachbildern und seinem Sprachwitz verknüpft er oft Dinge, die eigentlich nicht zusammenpassen, oder schreibt Gegenständen und Phänomenen Attribute zu, die sie real nicht haben können. Einige Beispiele: »Ein Vibrieren war im Raum. Eine Rotwangigkeit der Gespräche und Gefühle.« (S. 356) – »Das war übrigens eine recht junge wissenschaftliche Erkenntnis: die ausgeprägte Wetterfühligkeit von Maschinen, ihre migränoide und arthritische Natur. Es gab Experten, die meinten, dies sei ein erstes Zeichen der Entwicklung echter künstlicher Intelligenz.« (S. 320) – »Wenn sie [eine Opernsängerin] sprach …, dann eben nicht auf diese outrierte, blödelartige Weise der meisten Sängerinnen klassischer Musik, deren Redestil dem Gehstil von Gewichthebern vergleichbar ist, dem Gehen mit überbreiten Oberschenkeln.« (S. 232) – »Die Nase ist weicher als das Kinn. Sie bildet gewissermaßen den Bauch des Gesichts.« (S. 200) Und über einen griechisch-englischen Polizisten in Wien: »Nicht, daß die Griechen den Auftrag hatten, die österreichische Polizei zu reformieren – das wäre gewesen, als versuche ein Grottenmulch einem Mauwurf das Sehen beizubringen …« (S. 109) (Steinfest ist ein in Australien geborener und in Wien aufgewachsener Österreicher, der inzwischen in Stuttgart lebt – Österreich und Wien bekommen immer wieder ihr Fett weg.)

Steinfest erzählt mit großer Fantasie und Fabulierfreude. Er entwirft Gegenwelten (kosmisch wie psychisch), charakterisiert und entlarvt nebenbei gesellschaftliche Phänomene und das Verhalten der Eliten, zeigt, wie relativ die gewohnte Realität ist.

Bei der Fußball-WM haben wir in der Verlängerung des Endspiels gelernt, dass man Verben steigern kann (»Mach ihn [positive Form], mach ihn [Wiederholung, aber stimmlich gesteigert, also Komparativ], er macht ihn!« [Superlativ: Toooor!]). Jetzt sehen wir, dass man auch Substantive steigern kann: »Lesevergnügen – Lesefreude – Steinfest«.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 18. September 2014 um 23:29

Herr Steinfest scheint in die selbe Kategorie wie R. Seethaler zu fallen; eindeutig nicht mein Lesegeschmack ;-). Schade. Aber man soll nie nie sagen ...

Steve Kaminski kommentierte am 19. September 2014 um 09:30

Sie sind unterschiedlich - haben aber in manchem, Richtung skurril; Gemeinsamkeiten, ja.