Wunderbare Rückkehr?
„Justins Heimkehr“ fängt dort an, wo andere Bücher aufhören: Ein entführtes Kind wird nach vier Jahren entdeckt und zur Familie zurück gebracht. Der Entführer wird gefasst und der Justiz überstellt.
Glaubt man den Krimis, die diese Ereignisse beschreiben, ist nun Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung in die Familie eingekehrt, und das gewohnte Leben darf seinen Fortgang nehmen. Doch durch dieses Buch wird man eines Besseren belehrt.
Natürlich sind Vater, Mutter, Bruder und Großvater überglücklich. Justin, der entführte Junge selbstverständlich auch. Doch es ist lange nicht alles in Ordnung.
Man bittet die Eltern, Justin nicht mit Fragen nach seiner Entführung zu quälen und ihm Zeit zu geben, von sich aus darüber zu sprechen. Aber die einzige, mit der er offen redet, scheint seine Psychologin zu sein. Alle anderen sind ihren Mutmaßungen ausgeliefert.
Jeder behandelt jeden wie ein rohes Ei, und keiner redet darüber, wie es ihm wirklich im Innersten geht. Die Familie beschwört ihren Zusammenhalt, und tatsächlich sind beide Söhne so brav, wie man pubertäre Jungs noch nie erlebt hat – weder im realen Leben, noch in der Literatur. Streicheleinheiten für die Mutter, Komplimente für den Vater, sie haben sich alle sehr sehr lieb, und jeder hat für jeden Verständnis.
Die Zweifel, die Skepsis, die Angst und die Verunsicherung erträgt jeder für sich, teilt sie nicht. Ein Wunder, dass dieses zerbrechliche Gebilde aus Rücksichtnahme, Zuwendung und Aufmerksamkeit hält.
Die ersten 300 Seiten lang passiert nichts weiter, außer der Freilassung des Täters auf Kaution. Der Leser erfährt, wie das Wetter ist (meistens Hitze bis 40 Grad), was Vater, Mutter und zweiter Sohn machen, denken, fühlen, reden. Sehr intensiv geschildert, minuziös und detailliert beschrieben, bis in den hintersten Winkel ihrer Seelen ausgeleuchtet.
Kurz schnellt die Spannung nach oben, um dann ebenso schnell wieder abzuflachen und wie gewohnt vor sich hin zu plätschern.
Was mit Justin wirklich passiert ist – man (Eltern und Leser) kann es nur ahnen. Konflikte, die auftauchen? Ich habe mir gewünscht, dass es in der Familie endlich krachen würde und nicht jeder für sich mit seiner Schuld, seinem schlechten Gewissen und seiner Sprachlosigkeit hadert.
Die Handlung wird aus den Perspektiven von Mutter Laura, Vater Eric und Bruder Griff fortschreitend chronologisch erzählt, ein paar Mal erscheint auch der Großvater. Damit bleibt die Geschichte dicht bei den Personen, folgt ihnen und rückt sie nahe an den Leser.
Aber das Erzähltempo ist außerordentlich langsam; die Handlung hätte durchaus zügiger laufen können. Oder sogar müssen. Mit einigen unerwarteten Wendungen, spannenden Szenen und Raffungen in der Beschreibung von Umgebung und Wetter – Mann, was hätte „Justins Heimkehr“ ein tolles Buch sein können!