Rezension

Zu viel Unwesentliches zieht die Geschichte in die Länge

Die Tänzerin von Paris - Annabel Abbs

Die Tänzerin von Paris
von Annabel Abbs

Bewertet mit 3 Sternen

Lucia Joyce, Tochter des berühmten und viel diskutierten, irischen Schriftstellers James Joyce, lebt im Jahr 1928 mit ihrer gesamte Familie in Paris. Ihre Leidenschaft ist der Ausdruckstanz, mit dem sie große Erfolge feiert. Auch wenn Lucias eine erwachsene Frau und gefeierte Tänzerin ist, sind es ihre Eltern, die über ihr Leben bestimmen. Dem Schaffen des berühmten Vaters haben sich alle unterzuordnen. Durch sein schweres Augenleiden benötigt James Joyce Unterstützung beim Schreiben. So lernt Lucia eines Tages einen jungen, irischen Mann kennen; Samuel Beckett, welcher in Paris studiert. Auch er hat schriftstellerische Ambitionen und ist voller Bewunderung für seinen berühmten Landsmann Joyce. Lucia verliebt sich in Beckett und malt sich in ihrer Fantasie eine Zukunft mit ihm aus. Doch sie ist gefangen in den strengen moralischen Zwängen ihrer Familie. Lucia unternimmt etliche Versuche sich davon zu befreien, doch sie scheitert ein ums andere Mal. Als sie dann noch von der Lebenslüge ihrer Eltern erfährt, treten immer öfter psychische Probleme bei Lucia zu Tage. Nach vielen Therapieversuchen übernimmt der bekannte Psychologe C.J. Jung 1934 Lucias Behandlung. Er versucht in Lucias Unterbewusstsein vorzudringen, weil er davon überzeugt ist, dass Lucia etwas verdrängt und diese Etwas den Therapieerfolg verhindert. Wird Lucia es schaffen, irgendwann wieder als Tänzerin auf der Bühne zu stehen und sich selbst verwirklichen?

Der Roman erzählt die Geschichte einer jungen Frau, der es nicht gelingt sich von ihrer Familie zu lösen. Wenn man die tragische Geschichte der Lucia Joyce verfolgt, bekommt man schnell den Eindruck, als wäre ihr jedes Recht auf Selbstbestimmung von Anfang an entzogen worden. Die Mutter wirkt oft hartherzig und verhält sehr ungerecht gegenüber Lucia. Das Mutter - Tochter - Verhältnis ist miserabel und die Mutter kann ihre Eifersucht auf die Tochter kaum verbergen. James Joyce behandelt Lucia wie sein kleines Mädchen, obwohl sie mittlerweile eine erwachsene Frau ist. Auch das von Lucia viel beschworene gute Verhältnis zu ihrem Bruder scheint einseitig zu sein. Ihr Bruder jedenfalls nimmt wenig Rücksicht auf seine Schwester. Sein Umgang mit Lucia ist kaltherzig und dominant.

Ebenfalls bleibt die Frage, ob Beckett nun tatsächlich die große Liebe ist. Für mich waren in dem Roman keinerlei Funke zwischen den beiden zu spüren, dazu waren ihre Begegnung zu distanziert. Ich würde diese Liebelei eher Lucias Traumwelt zuordnen. Auch der Tag, an dem Beckett und sie sich näher kamen erscheint mit mehr Traum als Realität. Ihr Wunsch endlich selbstbestimmt leben zu können, hat für mich viel mit den Gefühlen für Beckett zu tun. Eine Heirat scheint für sie der einzige Ausweg aus ihrer Familie zu sein. Aufgrund dessen steigert sie sich in diese „Liebe“ hinein.

Die Erzählung selbst verstrickt sich vielfach in die traumhafte Gedankenwelt der Hauptfigur, was sich endlos zieht und den Fluss der Geschichte hemmt. Seitenlang verfolgen wir Lucias Leben, ohne das etwas wesentliches geschieht. Das Tempo zieht erst im letzten Romandrittel an. In dem Teil verdichten sich Lucias Versuche ihr Leben zu ändern. Jedes Scheitern macht deutlich, wie sehr die junge Frau leidet.

Hinzu kommen die regelmäßigen Wechsel ins Jahr 1934 zu Doktor Jungs Therapiestunden, welche die Dramatik ihres Scheiterns erklärend unterstreichen. In dem Abschnitt zerbricht auch die moralische Instanz der Eltern, die für Lucia ein stetiger Leitfaden gewesen waren. Lucia begreift, dass ihre Eltern nicht frei von Fehlern sind. Diese Erkenntnis erschüttert die junge Frau zutiefst. Als ihre Eltern ihr weiterhin Vorschriften machen, setzt sich in Lucias Psyche etwas in Gang, das nicht mehr zu steuern ist.

In diesem letzten Teil fand ich endlich Zugang zu der Figur der Lucia. Davor ging sie mir oftmals auf die Nerven mit ihren wirren und seltsamen Gedanken. Ihr Dilemma macht wütend, dennoch beeindruckt mich ihrer Stärke, sich aufzulehnen, auch wenn es keinerlei Aussicht auf Erfolg gibt.

Alles in allem eine interessante Geschichte vor einem wahren, fast vergessenen Hintergrund. Doch leider hatte ich den Eindruck, als ob die Erzählung an vielen Stellen in die Länge gezogen wird, um Seiten zu füllen. Durch einige Passagen musste ich mich sehr quälen.