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Laura Moulton mit ihrer mobilen, fahrradbetriebenen Bibliothek

Interview mit Laura Moulton

„Street Books“ - Bücher sind für alle da!

Laura Moulton hat ein ganz besonderes Projekt ins Leben gerufen: „Street Books“, eine mobile Bibliothek, die sich in erster Linie an Obdachlose richtet und ihnen einen dauerhaften Zugang zum Medium Buch ermöglichen soll. Wir haben mit Laura gesprochen.

Würdest Du unseren Lesern beschreiben, was es mit dem Projekt „Street Books“ auf sich hat? Und wie bist Du überhaupt auf diese wundervolle Idee gekommen?

„Street Books“ ist eine fahrradbetriebene, mobile Bibliothek, die sich an Menschen richtet, die auf der Straße leben und dementsprechend nicht in der Lage sind, einen Ausweis für eine normale Bibliothek zu erhalten (weil sie keinen Lichtbildausweis besitzen und ihnen somit ein Adressnachweis fehlt). Im Moment fahren wir in verschiedenen Teilen der Stadt 3 Schichten pro Woche, in denen unsere Kunden sowohl Bücher ausleihen wie auch zurückgeben können.

Ich denke, die Idee zu diesem Projekt geht auf ein Gespräch zurück, das ich mit einem Mann namens Joe irgendwann um 1999 führte. Er hatte sich aus freien Stücken zu einem Leben auf der Straße entschieden und wir sprachen über Bücher, die wir mochten, wobei wir schnell feststellten, einen gemeinsamen Lieblingsautor zu haben (A.B. Guthrie, „The Big Sky“ - ein klassischer Roman des Westens). Ich bin also gewissermaßen damit aufgewachsen, ihm hin und wieder Bücher zu geben, die ihm gefallen könnten – und ich glaube, dass mich diese Erfahrung entscheidend geprägt hat: So unterschiedlich unsere Lebenserfahrungen auch sein mögen, Lesen kann immer verbinden bzw. eine Gemeinsamkeit darstellen. 

Was bezweckst Du in erster Linie mit dem „Street Books“-Projekt? Und würdest Du uns etwas über die persönliche Bedeutung von Büchern für Dich erzählen? 

Ich bin Schriftstellerin und ‚lebenslange‘ Leserin – deshalb habe nie an der Macht und Magie von Geschichten gezweifelt. Aus meiner Sicht sind viele Bücher die Grundlage für weiterführende Gedanken und Gespräche – über das, was wir lieben und fürchten… und wie bzw. wieso wir uns dazu entschlossen haben, unser Leben so zu leben, wie wir es tun. 

Ich habe Kunden, die sehr belesen sind – aber auch solche, die gerade erst damit begonnen haben, das Lesen zu erlernen. Viele Kunden sagen mir auch, dass ihnen durchaus bewusst ist, dass sie etwas lesen sollten, um sich zu „verbessern“ (im Sinne von weiterzubilden), doch sie ziehen es manchmal auch vor, etwas Unterhaltsames zu lesen, um Zeit zu überbrücken oder der Realität zu entfliehen.  So habe ich relativ vielfältige Anfragen: Von Philosophie über Detektiv- und Mystery-Geschichten bis hin zu Romantik und… ach, im Grunde aller Arten der Literatur.

Das Projekt startete im Sommer 2011, was bedeutet, dass Du seitdem nicht nur Tausende von Büchern verliehen hast und Tausende von Menschen getroffen hast, sondern auch viele persönliche Geschichten gehört hast.  Was hat Dich in dieser Zeit am meisten berührt? Gab es einen besonders emotionalen Moment? …oder vielleicht einfach die schönste Erinnerung mit „Street Books“.

Im Jahr 2011 habe ich häufig Bücher an einen Mann namens Richard verliehen, der die Vampir-Romane von Anne Rice liebte. Jahre zuvor hatte er sie sogar getroffen, als Anne Rice im Französischen Viertel von New Orleans eine Signierstunde abhielt.

Mit Ende des Sommers 2011 sah ich Richard nicht mehr.

Doch dann passierte es: Erst kürzlich sagte mir Diana, meine Mittwochs-Bibliothekarin, dass ein Mann während ihrer Schicht auf sie zukam und zu ihr sagte, dass ich ihm vor zwei Jahren mit meiner „Street Books“-Bibliothek das Leben gerettet hätte. Nun ginge es ihm gut und er hätte auch wieder eine Wohnung. Es war Richard. Diana sagte, er hätte sie dann umarmt und es wäre insgesamt ein sehr emotionaler Moment gewesen, der sich kaum in Worte fassen lässt.
Ich war sehr, sehr glücklich, dass es ihm gut ging – und überhaupt wieder von ihm zu hören. Das ist die Art von Feedback, die mich antreibt.

Als Du mit „Street Books“ begonnen hast, gab es auch kritische Stimmen, die sagten, dass Dein Projekt nicht funktionieren würde und die Bücher nicht zurückkämen. Was würdest Du diesen Leuten heute entgegnen?

Je länger ich das „Street Books“-Projekt betreue, desto mehr wird mir bewusst, dass es im Grunde auch niemals darum ging (die Bücher pünktlich oder überhaupt zurückzubekommen). Viel wichtiger sind die Gespräche, die ich mit den Menschen über Bücher und ihr Leben führe. Ich denke, das macht das Projekt im Kern aus. Es ist ein unglaublich großartiges Gefühl, jemanden mit seinem Namen zu begrüßen, zu sagen „Hey, ich habe übrigens das Buch, nach dem Du Dich beim letzten Mal erkundigt hast!“ – und dann zu sehen, wie sehr sich die Person darüber freut.

Zu der Rückgabe: Im Laufe der Zeit habe ich immer wieder erlebt, dass mich Kunden sogar dann aufgesucht haben, wenn sie mich darüber informieren wollten, dass sie ein Buch nicht zurückgeben können (weil es ihnen gestohlen wurde oder vom Regen zerstört). Oder es gab solche, die sich zunächst gar nicht trauten, ein Buch auszuleihen, weil sie nicht wussten, ob sie nächste Woche noch da sein würden oder weiterreisen. Ich habe sie dann immer ermutigt, trotzdem ein Buch zu nehmen. – So nach dem Motto „Es muss doch toll sein, ein Buch von Jack Kerouac im Zug zu lesen, auf den Du gerade aufgesprungen bist“, verstehst Du?

Es ist auch lustig, gelegentlich von der „Multnomah County Bibliothek“ zu hören, dass einige meiner Street Books dort zurückgegeben wurden. Einige haben sogar schon Bücher an meine Postfach-Adresse zurückgeschickt… irgendwie cool.

Hand aufs Herz: War es eine große Überraschung für Dich, dass dem Projekt (und Dir) von Anfang an eine solch große Aufmerksamkeit zuteil wurde? Es gab sogar eine Dokumentation von Travis Shield (siehe unten).  

Es ist wahr, dass wir ein sagenhaftes Glück mit der Presse und den Medien hatten – so unglaublich viel Unterstützung und Interesse über die ganze Zeit.

Der erste Sommer war besonders überwältigend, da ich die Schichten alleine fuhr und darüber hinaus keine Ahnung hatte, wie viel Zeit es in Anspruch nehmen würde, die Bibliothek am Laufen zu halten, die Website zu betreuen und gleichzeitig alle Mails zu beantworten. Es war wirklich verrückt. Im Laufe der Zeit habe ich eine Art Verwaltungsrat bzw. Vorstand zusammengestellt und nun sind wir offiziell gemeinnützig, wobei wir trotz der großen Aufmerksamkeit mit einem relativ geringen Budget auskommen müssen. Aber ich bin froh, dass wir gestärkt aus dem 3. Sommer gehen – und durchaus hoffnungsfroh für die Zukunft. 

Konntet Ihr die Aufmerksamkeit denn insgesamt dazu nutzen, zusätzliche Sponsoren zu finden?

Ich denke schon, ja. Jedes Jahr im Herbst veranstalten wir einen Empfang, bei dem wir eine weitere erfolgreiche Sommer-Saison feiern – und dieses Jahr haben wir sogar Sponsoren dafür. Ich denke, dass das eine gute Grundlage ist – und hoffe auf weitere Unterstützer. 

Gibt es konkrete Pläne für die Zukunft? Die Finanzierung von sozialen Projekten ist natürlich immer eine Gratwanderung ... aber hast Du schon einmal darüber nachgedacht, das Projekt auf andere Städte auszuweiten o.ä.? Und ein weiteres Mal „Hand aufs Herz“: Wenn Du einen Wunsch für die Zukunft äußern dürftest – welcher wäre das?

Ich habe tatsächlich eine Reihe E-Mails von Leuten erhalten, die daran interessiert waren, „Street Books“-Bibliotheken auch in ihrer Stadt zu etablieren: Orte wie Seattle (Washington), Italien, Sao Paulo in Brasilien usw. Wahrscheinlich waren es um die zehn solcher Anfragen, seit ich angefangen habe. Es gibt zwar eine  „How to“-Anleitung für den Betrieb der „Street Books“-Bibliothek (steht unter streetbooks.org zum Download bereit), aber ich habe darüber hinaus auch versucht, unterstützende Mails in diese Richtung zu schreiben, in dem ich Fragen beantworte usw.

Ich denke, einer meiner größten Wünsche wäre, dass ich den Mann in Kolumbien besuchen könnte, der Bücher in Form einer Bibliothek mit einem Esel transportiert und ausliefert (biblioburro). Und vielleicht könnte man gemeinsam eine internationale Konferenz in Brasilien abhalten o.ä. 

Man, eine Konferenz der Straßen-Bibliothekare – wir könnten die Welt verändern!

Also, das wäre auf jeden Fall etwas, das ich mir für die Zukunft wünschen würde. 

Vielen Dank, Laura! Nicht nur für Deine Zeit, sondern auch für Deine unglaubliche Hingabe und all die Energie, die in diesem tollen Projekt steckt!!

Vielen Dank für Dein Interesse und die Unterstützung von Street Books, Torsten! Ich weiß die Fragen wirklich zu schätzen.

 

Wenn auch ihr Laura für die tolle Idee und ihr großartiges Engagement danken möchtet, könnt ihr sie über ihre Facebook-Seite kontaktieren:

http://www.facebook.com/streetbooks

Die offizielle Seite mit allen Infos findet ihr hier:
http://www.streetbooks.org/

Ein großes Dankeschön geht auch an Andrea Leoncavallo, die uns freundlicherweise die Fotos von Laura zur Verfügung gestellt hat:
http://www.sheinspires365.com/
http://www.lionhorseproductions.com/

Kennt ihr weitere tolle Projekte, die mithilfe von Büchern Gutes tun? Lasst es uns in den Kommentaren wissen. - Wir werden in Zukunft regelmäßig ausgewählte Buch-Projekte vorstellen.

Artikel eingestellt von: +Torsten Woywod

Kommentare

Giselle74 kommentierte am 08. Oktober 2013 um 09:33

Was für eine geniale Idee!!!

Ein Projekt, das ich sehr sinnvoll finde, auch wenn es hier vielleicht nicht direkt hingehört, ist der Vorlesetag. Da lesen Privatpersonen in Schulen, Kindergärten oder wo auch immer Kindern Geschichten vor. Ich habe schon oft daran teilgenommen und finde es immer wieder spannend...

Le Gov kommentierte am 10. Oktober 2013 um 13:28

Findet das nur in bestimmten Städten statt oder läuft das Deutschland weit?

ich find das hört sich richtig toll an!

Torsten Woywod kommentierte am 10. Oktober 2013 um 14:11

Hey!

Grundsätzlich findet der Vorlesetag überall statt. Unter www.vorlesetag.de findest Du ganz viele Informationen dazu; es gibt sogar eine Extra-Seite, wo Du Dich als Vorleser anmelden kannst: http://www.vorlesetag.de/mitmachen/vorleser-vorleseort-gesucht/

Beste Grüße!

bemerkte am 08. Oktober 2013 um 09:38

Es gibt doch auch diese "Kästen" in vielen Städten, wo Leute ihre Bücher abgeben können und die auch für alle zugänglich sind. 

Und es gibt die österreichische "Stadtlesen", was auch letztes Jahr auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt worden ist. Das ist auch für alle. Sogar werden Sitzgelegenheiten um die Buchreihen angeboten. Stadtlesen hatte auch dieses Jahr eine Deutschlandreise und war bis zum 6.Oktober in München , ihrer letzten Haltestelle in Deutschland. Sie reisen auch noch in die Schweiz und natürlich auch durch Österreich.

GuteMiene kommentierte am 08. Oktober 2013 um 12:29

du meinst sicher "Bücherschränke" die gibt es zum Einen organisiert und "privat".
Hier in Düsseldorf werden sie über das Literaturbüro organisiert, welches ich auch an den Kosten beteiligt.
Da diese Schränke bestimmte Auflagen erfüllen müssen (Stand- und brennfest...) und auch betreut werden müssen, können Initiativen um einen solchen Bücherschrank beantragen, wenn sie den nötigen Eigenanteil und das Konzept dafür haben. Hhier bei mir um die Ecke haben wir so ein Exemplar und reihum ist jemand eine Woche für Pflege und evtl. Ausortieren von Werbung zuständig. Das klappt prima.
Eine tolle Bücherzelle habe ich in Norddeutschland gefunden (in einer alten gelben Telefonzelle), sie wird ebenso wie viele andere kleine "Bücherhäuschen".. privat betreut.

nina.reuther91 kommentierte am 11. Oktober 2013 um 16:55

Diese Kästen gibt es bei uns auch.

Da kann man sich ein Buch rausnehmen und ein neues wieder rein tun.

Finde ich super so Dinger!

coala kommentierte am 08. Oktober 2013 um 09:59

Ein toller und inspirierender Artikel. Es ist faszinierend, was Menschen doch auf die Beine stellen können.

Ich kenne auch die offenen Bücherschränke, die in Deutschland immer mehr Anklang finden die letzte Zeit. Das ist sicherlich eine gute Alternative, vor allem für Menschen, die sich Bücher nicht in dem Maße leisten können. Den Vorlesetag kenne ich auch und es ist eine tolle Aktion, um Menschen Bücher näher zu bringen. Dieser wird vor allem auch von der Stiftung Lesen e.V. unterstützt, die sich für die Leseförderung in Deutschland engagiert – bei Jung und Alt. 

JordanCalaim bemerkte am 08. Oktober 2013 um 10:45

Da stimme ich die zu. Der Artikel und das Projekt sind richtig klasse. :)

Die Idee der Bücherschränke oder der offenen Bücherregale finde ich auch sehr interessant. ^^
Stand auch schonmal vor einem offenen Bücherschrank, nur rein bin ich nicht. Der war nämlich abgeschlossen und hatte nur von Montag bis Freitag von 10 bis 17 Uhr geöffnet. (War eh nur zu besuch, fand es aber schade)

coala antwortete am 08. Oktober 2013 um 10:52

Ja, manche sind abgeschlossen, das habe ich auch schon gehört. Da ist meiner Meinung nach der Zweck jedoch etwas verfehlt. Bei mir in Hamburg fährt in einer Buslinie sogar ein kleiner Bücherschrank mit, offen für jeden der ein Buch braucht oder der das eigene gerade ausgelesen hat. Ist passenderweise die Buslinie zum/vom Flughafen ;)

kommentierte am 08. Oktober 2013 um 11:08

Irgendwer muss auch ein Auge drauf haben, dass da keine Randalierer kommen oder auf einmal das ganze Dinge geklaut wird(bzw. der ganze Inhalt).

Das kommt wohl eher von schlechter Erfahrung. Finde ich auch gut so, dass es so gemacht wird. 

 

coala antwortete am 08. Oktober 2013 um 11:39

Ok, da hast du natürlich auch wieder Recht. Ein bisschen Kontrolle schadet nicht. Ich habe auch schon gesehen, dass Bücherschränke beschädigt waren und es so z.B. reinregnen konnte. Ausgenutzt wird leider überall, ob sich das so gänzlich vermeiden lässt, bezweifle ich mal. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass in diesen Öffnungszeiten immer jemand in der Nähe ist und ein Auge auf den Schrank haben kann. 

fantasierte am 08. Oktober 2013 um 11:40

Aber es wären vielleicht genug Leute unterwegs und wahrscheinlich das ganze Jahr über hell genug, dass man die Randalierer beobachten und melden könnte. 

Bettina kommentierte am 08. Oktober 2013 um 10:03

Laura hat da ein tolles Projekt auf die Beine gestellt. Sie verdient unser aller Hochachtung.

Lylaeleven kommentierte am 08. Oktober 2013 um 13:17

Wow, das ist ein tolles Projekt. Ich stelle es mir wahnsinnig schwierig vor, so etwas zu etablieren. Es muss unheimlich viel Kraft kosten, seine Ideen immer wieder neu zu erklären und vor allen Dingen verteidigen zu müssen. Ganz besonders in Gesellschaften, die hinter allem nur den Profit sehen. 

kommentierte am 08. Oktober 2013 um 14:05

Tolle Idee ;-) Respekt für soviel Mut

Buechertippzzz kommentierte am 08. Oktober 2013 um 14:20

Das ist eine wahnsinnig tolle Idee! :)

Bücher sollten immer für jeden zugänglich sein. :) In Erfurt gibt es eine "OpenBook"-Box, das ist eine umgebaute Telefonzelle, in der jetzt Bücher drin stehen. Dort kann jeder hingehen und seine Bücher reinstellen oder sich welche nehmen oder beides. :) Ich hätte nicht gedacht, dass das so gut funktioniert. Ich hätte erwartet, dass das ausgenutzt oder beschädigt wird, aber diese Box besteht schon über ein Jahr und ist immernoch gut gefüllt und unbeschädigt. :)

Ich finde es immer wieder schön, wenn Bücher "an den Mann" gebracht werden. :))))

doppelgaenger fragte am 08. Oktober 2013 um 21:16

Das ist wirklich eine wundervolle Idee!

Weiß jemand, ob man Laura Moulton selbst Bücher zukommen lassen kann, quasi als Spende? Oder sollte man sich da besser direkt per Mail an sie wenden?

Torsten Woywod kommentierte am 08. Oktober 2013 um 21:51

Hey!

Das kannst Du ganz bestimmt... wahrscheinlich wäre der Versand aber nicht ganz so billig, da sie in Portland (Oregon, USA) wohnt. Du kannst Sie aber gerne über ihre Website direkt kontaktieren - sie freut sich bestimmt (sie sprichst sogar ein bisschen Deutsch)! :-)

fio kommentierte am 08. Oktober 2013 um 22:51

Was für ein tolles Projekt! Danke für dieses Interview!

Büchertippzzz hat geschrieben: Bücher sollten immer für jeden zugänglich sein. Das finde ich auch! Neben obdachlosen Menschen fällt mir allerdings direkt noch eine zweite Gruppe ein, für die das leider ebenfalls nicht wirklich selbstverständlich ist: Gehörlose. 

Ich bin seit fast 10 Monaten selbst gehörlos (sonst hätte ich mich mit dem Thema ehrlich gesagt vielleicht auch nie auseinandergesetzt). Lesen ist für mich kein Problem, weil Deutsch meine Muttersprache ist. Seit ich selbst nicht mehr hören kann, weiß ich allerdings, dass es Menschen, die von Geburt an taub sind, in der Hinsicht wirklich schwer haben. Deutsch ist für sie eine Fremdsprache, die sie erst lernen müssen (und zwar in einem Alter, in dem die hörenden Kinder sich ihre Sprache längst angeeignet haben). Anders als die Hörenden können sie sich beim Lernen dieser fremden Sprache außerdem nicht einfach auf ihre Muttersprache stützen, weil die Gebärdensprache eine ganz eigene Sprache (mit eigener Grammatik etc.) ist und sich auch nicht 1:1 auf das Deutsche übertragen lässt.

Ich mag gar nicht daran denken, wie meine Kindheit ohne Bücher gewesen wäre. Für gehörlose Kinder ist Literatur jedenfalls nicht selbstverständlich. Für sie ist es viel schwerer, zu lesen und deshalb brauchen sie nicht nur Menschen, die sie dabei unterstützen und fördern, sondern die auch ihre Motivation und ihre Lust auf Bücher wecken. Ich hab bislang nur grob recherchiert, aber offensichtlich gibts hierfür leider kaum offizielle Projekte. Spontan könnte ich nur zwei nennen: In Berlin ein Projekt namens 'LeseZeichen' und in Hamburg eine ähnliche Veranstaltung, bei der gehörlosen und hörgeschädigten Kindern Bilder- und Erstlesebücher 'vorgebärdet' wurden (ob es diese Events immer noch gibt, weiß ich (noch) nicht). Erwachsene Gehörlose, die wegen all diesen Barrieren nur schlecht lesen gelernt haben, bleibt Literatur deshalb jedenfalls leider oft ein Leben lang verschlossen. Und selbst wenn sie sich doch durchkämpfen und die Welt der Bücher für sich erobern, bleiben sie trotzdem oft außen vor (z.B. bei Autorenlesungen... die werden meistens nur für Hörende angeboten und nur sehr selten zusätzlich für taube Menschen).

@ Torsten: Ich weiß ja nicht, ob ein Artikel zu einem entsprechenden Projekt jetzt nur für mich interessant wäre oder ob auch andere User gern etwas darüber lesen würden? Die Auswahl an Projekten, über die man schreiben könnte, ist vermutlich sowieso ziemlich - na sagen wir mal 'überschaubar'. Ich kann nur sagen: Bücher haben meine Welt schon immer größer gemacht. Seit ich nicht mehr hören kann, mehr denn je. Und ich würde mir wünschen, dass gehörlose Kinder die gleichen Buchschätze wie ich (oder besser gesagt noch viel mehr) entdecken können. Weil es dafür zur Zeit noch viel zu wenig Angebote gibt, denke ich selbst über ein entsprechendes Projekt nach. Aber sowas will gut geplant und vorbereitet sein und bis es auf die Beine gestellt ist, wirds wohl noch ein Weilchen dauern. Über einen Artikel in der Richtung würde ich mich aber in jedem Fall freuen.

Anchesenamun kommentierte am 10. Oktober 2013 um 11:37

Deinen Kommentar finde ich sehr interessant, denn ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, dass Gehörlose Probleme damit haben, ein Buch zu lesen. Jetzt, wo du das so schreibst, klingt es natürlich nachvollziehbar. Vielleicht eine etwas blöde Frage, aber ich habe mich schon immer gefragt, ob sich Gehörlose unabhängig ihrer eigentlichen Muttersprache untereinander verständigen können, also ob die Gebärdensprache international ist? Weil du ja schreibst, dass das eine ganz eigene Sprache mit eigener Grammatik ist. Wirklich sehr interessant! Einen Bericht darüber fände ich auch toll!

fio kommentierte am 10. Oktober 2013 um 14:38

Die Frage ist überhaupt nicht blöd. Im Gegenteil. Also eine internationale Gebärdensprache gibt es nicht. Jedes Land hat seine eigene Gebärdensprache und die kann sogar innerhalb des Landes variieren, weil es - wie auch im Deutschen - je nach Region unterschiedliche Dialekte gibt. Für Gehörlose, die mit Gebärden aufgewachsen sind, sind Dialekte und fremde Gebärden soweit ich weiß aber trotzdem nicht so problematisch wie unterschiedliche Fremdsprachen es für Hörende sind. Ich habe irgendwo mal gelesen, dass sich gehörlose Menschen aus unterschiedlichen Nationen trotz sprachlicher Unterschiede relativ schnell verständigen können. Einfach weil sie es gewohnt sind, mit Händen und Füßen zu sprechen.

Falls dich das Gebärden interessiert, schau mal unter www.visuelles-denken.de. Da gibt's einen Schnupperkurs. :)

LG,
Fio

Anchesenamun kommentierte am 10. Oktober 2013 um 18:22

Hi Fio,

danke für die ausführliche Antwort! :-) Das ist alles wirklich sehr interessant! Die Seite guck ich mir mal an, wenn ich mehr Zeit habe, danke. :-)

LG, Bianca

Ayu Ravenwing kommentierte am 08. Oktober 2013 um 23:42

Dass ist wirklich ein wunderbares und großartiges Projekt. Vor allem wird so auch Menschen geholfen, die ansonsten überhaupt keine Chance bekommem, oder nur schief angeschaut werden. Aus einer normalen Bibliothek oder Buchhandlung würden sie sicher einfach hochkant hinausgeworfen werden. Dabei können die meisten auch nicht unbedingt etwas für ihr Schicksal und dass sie auf der Straße gelandet sind. Bücher könmen auch Mut machen. ;) Und wie viel sie bewirken können, sieht man an dem wunderbaren Artikel. Vielen Dank!

cupcatz kommentierte am 09. Oktober 2013 um 22:56

Finde das Projekt auch super und habe mich sogar die Tage gewundert, das ich bei uns im kleinen Kaff auch so ein Regal mit Büchern entdeckt habe (leider nur beim vorbeifahren). Ich hab da noch so ein paar Bücher (ja sogar Jugendbücher) die ich da reinstellen möchte :D Weil damals beim Welttag des Buches als es die 30 Exemplare gab, hatte ich die auch in der Stadt verteilt und kam sehr gut an :D

herz2568 kommentierte am 10. Oktober 2013 um 07:58

Was für eine tolle Idee und sehr nachahmnungswürdig! Ich bewundere Laura sehr für ihr Engagement und ihren Einsatz, sie musste bestimmt durch viele Täler gehen bis das Ganze sich so etabliert hat. Neider und Skeptiker gbt es immer, aber wenn man eine Idee im Kopf hat sollte man sie auch weiterverfolgen und der Erfolg bei dem Menschen gibt ihr Recht und ist auch ein verdienter Lohn. Bücher können Leben retten, verbessern und motivieren -ein schönes Fazit

kommentierte am 10. Oktober 2013 um 11:38

Wirklich eine tolle Idee.

An unsere Tafel ist eine Bücherstube angeschlossen, in der man sich für wirklich wenig Geld (oder auch gar keins) Bücher mitnehmen kann. Ich weiß nicht, ob die Hemmschwelle zu groß ist, weil diese Bücherstube sich eine Etage höher befindet. Ich habe bisher leider noch niemanden gesehen, der sich auch Bücher holt.

Le Gov sagte am 10. Oktober 2013 um 13:35

Hut ab!!!

das ist ein super Projekt und ich finde es toll, dass es noch Menschen gibt die nicht nur an sich selbst, sondern auch an andere denken!

bemerkte am 11. Oktober 2013 um 01:00

ich finde alle Aktionen, bei denen Menschen Lesen schmackhaft gemacht wird toll und bewundere alle die die Geduld dafür aufbringen.

 

Lilly87 kommentierte am 13. Oktober 2013 um 22:42

Das ist echt ein großartiges Projekt!!! Hoffentlich wird sich diese Idee noch weiter verbreiten!

Schmetterling kommentierte am 14. Oktober 2013 um 12:18

welch schöne Idee... ich ziehe den Hut vor Menschen wie Laura