Rezension

Rein philosophische Betrachtung

Mitte des Lebens -

Mitte des Lebens
von Barbara Bleisch

Bewertet mit 4 Sternen

Der kleine Moorsee Lai Nar im Engadin symbolisiert für Barbara Bleisch den Verlauf ihres Lebens – hier wanderte sie als Kind, Mutter und als Mutter Heranwachsender. Die Torfschicht des Moors könnte als Dokument des Werdens und Vergessen gesehen werden. Bleischs Bild einer erreichten Hochebene und ihre Vorstellung von Landkarten des Lebens, auf denen aus unterschiedlichen Blickwinkeln nur Ausschnitte fokussiert werden, verdeutlichen die erreichte Lebensmitte bildhaft. In ihrer philosophischen Betrachtung definiert sie Lebensmitte als Alter, in dem wir selbst über uns entscheiden und in dem die Fähigkeit eines Erwachsenen zur Impulssteuerung von uns erwartet wird. Ab Mitte der 30er setzt  - in der Rushhour des Lebens - meist eine Rückschau auf das Erreichte ein, die mit Stagnation, Hadern über verpasste Chancen oder  einem Richtungswechsel verbunden sein können. Die Einsicht in mittlerem Alter, nicht der Mittelpunkt des Universums zu sein, sieht die Autorin positiv, da sie mit Mustererkennung einhergeht und der Einsicht, dass schwere Lebenssituationen wieder vorbeigehen.  Die Themen Abhaken einer Bucket List, Abschließen von Phasen, um Neues beginnen zu können, intrinsische Motivation zum Handeln und Generativität (Sorge für die nachfolgende Generation) nehmen bei Bleisch breiten Raum ein. Weitere Stichworte sind Lebendigkeit, Wundern, Ratlosigkeit, aber auch Double Standard of  Aging. Beeindruckend fand ich Bleischs Wahl von Bertrand Russell als Vorbild, der einen hohen Preis für sein unabhängiges Denken zahlte und dennoch versöhnt auf sein Leben zurückblicken konnte.

Fazit
Barbara Bleischs philosophische Betrachtung will kein Ratgeber sein und gibt keine Ratschläge für konkrete Situationen. Ihr philosophischer Ansatz fordert, Vorannahmen loszulassen, das Thema von allen Seiten zu betrachten und neu zu beurteilen. Dazu liefert sie eine Fülle von Zitaten und Quellen, die sich als Gesprächseinstieg nutzen lassen. Mir war der Ansatz zu allgemein, zu wenig auf die aktuelle gesellschaftliche Situation bezogen, da gerade im fokussierten Alter im Hamsterrad von Familiengründung u. a. Care-Arbeit die „Mitte“ oft nur schwer zu finden ist.