Rezension

Leben mit Demenz

Alte Eltern -

Alte Eltern
von Volker Kitz

Bewertet mit 5 Sternen

Das Leben mit einem Demenzkranken, emotionale Geschichte, sachlich untermauert; teils Biografie, teils Sachbuch

„Alte Eltern“ von Volker Kitz trägt auch noch einen Untertitel, der den Inhalt des Romans kurz und prägnant zusammenfasst: „Über das Kümmern und die Zeit, die uns bleibt“.

Worum geht es?
Der Autor beschreibt die letzten gemeinsamen Jahre mit seinem Vater und dessen fortschreitende Demenz; wie die Diagnose nicht nur das Leben des Vaters, sondern auch sein eigenes verändert hat.

Das Cover ist eher schlicht gehalten, springt aber dennoch ins Auge. Zudem hat mich der Titel neugierig gemacht. Das Buch erschien 2024. Es gliedert sich in 11 übertitelte Kapitel. Der Schreibstil ist flüssig, einerseits klar und verständlich, was wissenschaftliche Informationen anbelangt, und andererseits empathisch, sodass man die persönlichen Gefühle und Gedanken des Autors gut nachempfinden kann. Die Handlung umfasst nicht nur jene Jahre, als die Diagnose feststand und verfolgt nicht nur das stete Fortschreiten der Krankheit, sondern gibt im Zuge der gemeinsamen Aufarbeitung von Erinnerungen generell Einblick in das Leben des Vaters, der Familie an sich, und offenbart seine wesentlichsten Charakterzüge.

Volker Kitz und sein Vater konnten die letzten Jahre besonders intensiv miteinander verbringen. Sicher - eine privilegierte Situation, sowohl von finanzieller Seite aus, als auch von den privaten und beruflichen Gegebenheiten des Sohnes her gesehen. Schon aus dieser Warte betrachtet, kann man das Buch nicht als generellen Ratgeber sehen, denn die wenigsten Menschen können sich neben Beruf und eigener Familie derart intensiv um ihre alten Eltern kümmern. In meinen Augen ist das Buch primär eine Biographie, untermauert mit sachlichen Informationen, bzw. vielleicht konnte der Autor durch das Schreiben das Erlebte auch selber besser aufarbeiten. Für all jene, die sich noch eingehender mit der Thematik befassen möchten, mit wissenschaftlichen Fakten und Theorien, gibt es am Ende des Buches eine umfangreiche Liste entsprechender Literatur.

Wie auch immer, mich hat die Geschichte sehr berührt. Diese innige Beziehung zwischen Vater und Sohn. Die Intensität, mit der sich der Sohn bemühte, die Welt des Demenzkranken zu verstehen, sich hineinzuversetzen, sich auf ihn einzustellen, ihm noch beglückende Momente zu bieten. Dass Volker Kitz die Geschichte seines Vaters erzählt, ist auch insofern bedeutsam, weil es wichtig ist, sich nicht für demenzkranke Verwandte zu schämen, sie nicht zu verstecken, sondern offen mit den Problemen umzugehen. Nur so kann Verständnis im Umfeld geweckt werden. Auch Aufmerksamkeit auf frühe Anzeichen der Krankheit. Denn es kann jedem passieren …

Automatisch gleiten während des Lesens die Gedanken auch zur eigenen familiären Situation ab. So erinnerte ich mich an die letzten Jahre mit meiner Mutter, die auch sukzessive in eine Welt des Vergessens versank, wenn auch in eine etwas andere als der Vater von Volker Kitz. Ihrem Gedächtnis entglitt auch das längst Vergangene, ich konnte keine Erinnerungen in ihr wecken, mit ihr auch nichts unternehmen, weil sie nicht mehr körperlich so mobil war wie Volkers Vater; sie saß im Rollstuhl und fühlte sich außerhalb ihres Zimmers im Pflegeheim nicht mehr wohl.

Selbst schon über 70 und kinderlos, machte ich mir auch vor dieser Lektüre bereits Gedanken über die Zukunft, falls es nicht mehr möglich sein sollte, alleine zu leben, pflegebedürftig zu werden. Auch dieses Buch bietet keine Lösungen, zu individuell ist die Situation für den Einzelnen. Nichtsdestotrotz empfehle ich das Buch wärmstens. Es regt insbesondere zum Nachdenken an, sich nicht einfach auf die Kinder zu verlassen, manches zu planen, wie z.B. eine Patientenverfügung zu verfassen, dazu, sich rechtzeitig um Kontakte zu bemühen, sich zu vernetzen, Menschen zu finden – es muss durchaus nicht Familie sein -, die sich einst einmal um einen kümmern, sich verantwortlich fühlen.

5 Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung!