Rezension

Alice und die Spiegelscherben

Hinter Glas - Julya Rabinowich

Hinter Glas
von Julya Rabinowich

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Jugendbuch zum Thema Gewalt, das in viele Hände gehört, nicht nur in jugendliche.

Zuhause leiden Alice und ihre Eltern unter der Herrschaft des jähzornigen Großvaters. In der Schule wird sie von anderen drangsaliert und gedemütigt. Als ein neuer Schüler auftaucht und sich auf ihre Seite stellt, entspannt sich die Situation zunächst. Bis schließlich alles eskaliert.

Julya Rabinovich konfrontiert ihre junge Ich-Erzählerin gleich mit einer ganzen Bandbreite verschiedener Ausdrucksformen der Gewalt: Mobbing, Unterdrückung innerhalb der Familie, Fremdenhass, Misshandlung in der Partnerschaft. Das klingt überladen, ist es aber nicht. Vielmehr vermittelt sie glaubhaft, wie sehr die negativen Aspekte einander bedingen und verstärken.

Wer sich die Frage stellt, was eigentlich die Aggression der anderen auf Alice lenkt, wird feststellen, dass es heilsam sein kann, darauf keine Antwort zu erhalten. Die Subjektivität, mit der hier erzählt wird, ist kompromisslos und daher besonders wertvoll.

Der Schreibstil wirkt, der Protagonistin geschuldet, auf authentische Weise jugendlich, scheinbar einfach, nichtsdestotrotz anspruchsvoll, poetisch voller Bilder. 

Auf ausufernde Brutalität wird verzichtet. Sie geht immer nur so weit, dass es sich schlimm anfühlt. dass die Fortsetzung, die Steigerung potenziell möglich scheint. Die größte Bedrohung der Persönlichkeit ist tatsächlich die eigene Ohnmacht. 

Gerade weil so überaus sensibel an diese Bereiche herangegangen wird und Alice hautnah all das erleben muss, gelingt das Mitfühlen auf Anhieb. Viel mehr interessieren ihre Gedanken und Gefühle, auch ihre Entwicklung. Vor ihr liegen die Scherben des Spiegels ebenso wie die Bruchstücke ihres Lebens, welche es anzusehen, zu sortieren und zu erkennen gilt.

Zwischendurch tauchen öfter Gedanken auf, kursiv gedruckt, die zu einem Wesen gehören, welches sein Augenmerk ganz auf die junge Frau richtet. Das ist geheimnisvoll und mischt einen Hauch Fantasy dazu. 

Der Titel hat eine wunderbar vielschichtige Bedeutung, deren letzte sich erst am Ende offenbart. 

Ein Buch, so behutsam wie drängend. Das überreichlich Stoff für Diskussionen bereit hält. Ein Buch, das in viele Hände, nicht nur in jugendliche, gehört und in ebenso viele Herzen.