Rezension

"Anders" ist gar kein Ausdruck

Die da kommen - Liz Jensen

Die da kommen
von Liz Jensen

Bewertet mit 4 Sternen

Wer sich drauf einlässt, den erwartet ein sehr originelles und sehr intensives Lesevergnügen...

Jan de Vries hält das Geländer mit seinen fleischigen Händen umklammert. 
Er kreischt auch noch, als er seinen massigen Körper hochstemmt - völlig mühelos, wie es scheint - und über das Sicherheitsgeländer springt.
Es erinnert mich an alte Filme, die in England auf dem Land spielen und in denen Männer über Gatter springen, in einer einzigen fließenden, gymnastischen Bewegung.
Dann ist er verschwunden.
Später, als mich der Kriminalbeamte Mazoor befragt, werde ich seinen Todessprung als "überraschend elegant" bezeichnen.

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INHALT:
Alles beginnt damit, dass ein siebenjähriges Mädchen seine Großmutter mit einem Druckluftnagler tötet - wie es scheint, ohne Motiv. Kurz darauf häufen sich die Vorfälle häuslicher Gewalt, die von Kindern ausgeht und nur Erwachsene betrifft. Zur gleichen Zeit beginnen sich auch Fälle interner Sabotage in Firmen zu häufen, ausgehend von eigentlich treuen Mitarbeitern. Die Menschen, die ihre Firmen ins Unglück stürzten, behaupten später, "sie" hätten es ihnen befohlen. Wer sind "sie"? Und was bezwecken "sie" damit? Der Anthropologe Hesketh Lock versucht, die Zusammenhänge zu begreifen, doch die Epidemie weitet sich zu einer Pandemie aus, und bald steht die Welt Kopf...

MEINE MEINUNG:
Liz Jensen ist eine in Amerika recht erfolgreiche und beliebte Thriller-Autorin, die sich in ihren Büchern oft mit den Konsequenzen des menschlichen Handelns auseinander zu setzen scheint - so auch in ihrem neusten Roman, "Die da kommen", in dem sich Kinder gegen die Erwachsenen wenden. Den Fragen nach dem Wie und dem Warum wird durch Hesketh Lock nachgegangen, dem aus der Ich-Perspektive erzählenden Protagonisten. Dieser hat das Asperger-Syndrom, eine Form des Autismus, seine Sichtweise ist also durchaus etwas kompliziert. Hat man sich daran jedoch gewöhnt, erwartet einen eine sehr außergewöhnliche Geschichte.

Hesketh Lock ist ganz sicher ein außergewöhnlicher Charakter, den man erst einmal verstehen lernen muss. Seine emotionale Distanz und seine geringen Fähigkeiten im sozialen Bereich lassen ihn einem erst einmal sehr fern erscheinen, wodurch man sich wenig mit ihm identifizieren kann. Durch seine Liebe zu seinem Stiefsohn Freddy und seine Verantwortlichkeit diesem gegenüber entwickelt er sich zum Teil aber weiter, und als Leser kann man seine Denkweise mit der Zeit besser nachvollziehen. Die sonstigen Personen sind vor allem sehr glaubwürdig und realistisch dargestellt - insbesondere Freddy, der in seinem Verhalten sehr wie ein siebenjähriger Junge wirkt, aber auch Heskeths Arbeitgeber Ashok oder sein Mentor Professor Whybray überzeugen durch ihre sehr durchdachte Darstellung.

Die Geschichte selbst ist die ersten etwa 60 Seiten sehr zäh und eher nervig - denn bevor man sich mit Hesketh und seiner Art auseinandersetzen kann, wird man erdrückt von seinen wissenschaftlichen Erläuterungen, den detailreichen und manchmal recht unverständlichen Abhandlungen über Themen, die er bearbeitet, sowie seiner Vorliebe für Origami, das er eigentlich die gesamte Zeit über faltet. So ist der Einstieg eher schwierig, besonders, wenn man andere Erwartungen hatte. Lässt man sich dann allerdings auf Liz Jensens Stil, die wissenschaftlichen Gespräche und die außergewöhnliche Story ein, weiß das Buch einen mitzureißen - und lange nicht mehr loszulassen.

Denn die Art, wie der Leser auf die Lösung zugeführt wird, ist höchst interessant und an den meisten Stellen überaus ausgeklügelt. Hinzu kommt die unglaubliche Spannung, die durch die Zusammenhänge zwischen den grausamen Morden der Kinder und den Sabotage-Akten der Erwachsenen bestehen. Der Spannungsbogen ist weitläufig und erreicht kurz vor Ende seinen Höhepunkt, um dann in einige Antworten zu münden. Diese waren mir persönlich nicht komplett ausreichend, da speziell auf eine Frage keine gefunden wird, insgesamt sind die Erklärungen aber durchaus überzeugend und vor allem schlüssig. Die Autorin scheint selbst keine Lösungen für alle Fragen gehabt zu haben, was schade ist - der eigenen Fantasie so gleichzeitig aber auch eine Menge Spielraum lässt.

FAZIT:
"Die da kommen" von Liz Jensen ist eine Geschichte über die Folgen des menschlichen Handelns, die entsetzt, erschreckt und packt. Der Einstieg fällt aufgrund des autistischen Protagonisten sehr schwer, danach bessert sich der Thriller aber mehr und mehr, bis er vollkommen mitreißt. Zum Schluss wird nicht auf alles eine Antwort gefunden, die Lösungen, die es gibt, überzeugen aber. Meiner Meinung nach definitiv einen Versuch wert! 4 Punkte.