Rezension

Bedrückende Ehrlichkeit einer Mutter

Frau im Dunkeln - Elena Ferrante

Frau im Dunkeln
von Elena Ferrante

Bewertet mit 4 Sternen

Das Leben einer selbstbestimmten Frau, die zur Mutter wird und dann bis zu ihrem Tod fortwährend Mutter sein wird, ist geprägt durch innere Zerrissenheit, Selbstzweifel, aber auch durch ein Ungerechtigkeitsempfinden, das aus der teilweisen Aufgabe des eigenen Ichs bzw. dem Hintenanstellen eigener Interessen an die Bedürfnisse der Familie resultiert. So geht es auch Leda, die jetzt fast fünfzig ist und deren erwachsene Töchter beim Vater in Kanada leben. Sie ist froh, sich um niemanden mehr kümmern zu müssen. Dennoch hängt der Schatten des Mutterseins noch deutlich über ihr. Statt an der Universität in Florenz zu forschen, statt sich selbst intellektuell weiterzuentwickeln, unterrichtet sie wie schon viele Jahre zuvor Englisch. Den Sommer verbringt Leda in Süditalien am Strand, wo sie ihre neue Freiheit genießen will. Doch beim Beobachten der anderen Strandbesucher, insbesondere einer jungen Mutter mit ihrer Tochter, kommen ihr all die Erinnerungen wieder in den Sinn, die ihr ein schlechtes Gewissen bereiten. 

Obwohl Leda sich merkwürdig benimmt und man sie aufgrund ihrer Handlungen und negativen Gedanken gar nicht wirklich mögen dürfte, bin ich ihr ziemlich nahe gekommen. Vielleicht ist es die Ehrlichkeit, die unschöne Seite des Mutterseins preiszugeben, die mir imponiert hat. Ihre Aktion am Strand empfinde ich als „kleine Rache“ an der Folgegeneration. Auch wenn ich Verständnis für ihr Bedürfnis auszubrechen habe, kann ich längst nicht alle Taten gutheißen.

Elena Ferrantes Stil, die Geschichte überwiegend mittels gesprochenem Wort und auf Basis von Ledas Gedanken zu erzählen, hat mir sehr gut gefallen. Lediglich Prolog und Ende passten für mich nicht so richtig zum Rest des Romans. Meinem Empfinden nach wirkte es etwas aufgesetzt, oder anders ausgedrückt, wenn Prolog und Ende Ledas Gedankenwelt einrahmen soll, dann ist mir persönlich der Rahmen zu schmal. Insbesondere das Ende fällt mit der Tür ins Haus, kommt mir zu plötzlich. Aufgrund des Prologs hatte ich spätestens im letzten Drittel eine deutliche Wendung erwartet. 

Trotz der Kritik mochte ich „Frau im Dunkeln“ ganz gern. Mütter, die schon ein Weilchen dabei sind, empfehle ich es gern, Vätern auch. Werdenden Müttern und Frauen, die demnächst Mutter werden wollen, rate ich thematisch davon ab.