Rezension

Berührend und intensiv

Trümmerkind - Mechtild Borrmann

Trümmerkind
von Mechtild Borrmann

Bewertet mit 5 Sternen

»Agnes nannte er ganz selbstverständlich „Mama“, so wie Hanno und Wiebke es taten, und als habe es nie eine andere gegeben. Und sie war froh darüber. Irgendwann, wenn er alt genug war, würde sie ihm alles erzählen.«

Hamburg, im Januar 1947. Die Welt der Familie Dietz liegt im wahrsten Sinne des Wortes in Trümmern. Der Ehemann und Vater kehrte von der Front nicht zurück, gilt als vermisst. Die Mutter überlebte mit ihren beiden Kindern den Feuersturm, verlor dabei aber ihre ganze Habe. Und nun versucht die kleine Familie im eiskalten Hungerwinter irgendwie zu überleben. Trotzdem gibt es kein Zögern, als der 14jährige Hanno in den Trümmern eine nackte Frauenleiche und nicht weit davon entfernt einen einsamen kleinen Jungen findet, offensichtlich stark traumatisiert und stumm. Die Dietzens nehmen ihn auf, er wird zu ihrem Sohn und Bruder. Hanno jedoch kann das Bild der toten Frau nicht vergessen und Jahrzehnte später wird er gezwungen, sich neu damit auseinanderzusetzen…

 

Es gibt Bücher, die wirken nach dem Lesen noch lange nach. Dieses hier ist so eins. Es ist so intensiv geschrieben, dass ich es nicht aus der Hand legen mochte und es mich zutiefst berührte.

 

Die Handlung verläuft in mehreren Zeitebenen. Einmal verfolgt man die Geschehnisse ab diesem Januar 1947, dazwischen geht es aber auch zurück in die letzten Wochen des Kriegs. Neben der Familie Dietz steht auch eine andere Familie im Mittelpunkt, die Zusammenhänge werden erst gegen Ende klar. Und dann gibt es noch eine Handlung im Jahr 1992, in der eine junge Frau den Spuren ihrer Familie folgen will. All diese Schilderungen sind absolut fesselnd, früh fing ich an, nach Verbindungen zu suchen und obwohl ich mit meiner Ahnung richtig lag, schockierte mich die Auflösung. Der einzige Trost bei so viel Furchtbarem ist, dass es gleichzeitig Menschen gab und gibt, die mutig tatkräftige Nächstenliebe leben.

 

Die Handlung ist fiktiv, spielt aber vor dem Hintergrund der Hamburger Trümmermorde. Diese wurden bis heute nie aufgeklärt, eine Auflösung wie die im Buch könnte ich mir durchaus vorstellen.

 

Fazit: Definitiv kein Wohlfühlbuch, aber ungemein berührend und intensiv. Zudem ist es sehr spannend zu verfolgen, wie die einzelnen Handlungen zusammenlaufen.