Rezension

Das bewegende zweite Leben der Christiane F.

Christiane F. - Mein zweites Leben - Christiane V. Felscherinow, Sonja Vukovic

Christiane F. - Mein zweites Leben
von Christiane V. Felscherinow Sonja Vukovic

Bewertet mit 5 Sternen

Zum Inhalt

Wer kennt sie nicht, die „Kinder vom Bahnhof Zoo“, die in den 1980ern durch das gleichnamige Buch zu trauriger Berühmtheit gelangten? In vielen Schulen stand die Geschichte der jugendlichen Drogensüchtigen rund um die Berlinerin Christiane F. als Pflichtlektüre auf dem Lehrplan. Doch was ist aus dem frechen, gewieften und doch auch so kaputten Mädchen von damals geworden?

In „Christiane F. - Mein zweites Leben“ erzählt Christiane Felscherinow, wie es ihr seit damals ergangen ist. Dank der Tantiemen aus dem Buch- und Filmprojekt kommt sie bis heute noch finanziell gut über die Runden, ohne arbeiten zu müssen. Ein ereignisreiches, bewegendes Leben liegt hinter ihr, ihr Körper ist gezeichnet von ihrer Sucht, ganz losgekommen ist sie davon nie. Und doch begegnen wir einer starken Frau, die sich stets ins Leben zurückgekämpft hat.

Meine Meinung

Zuerst einmal vorweg ein Geständnis: Natürlich ist mir die Geschichte um die drogenabhängigen Jugendlichen vage bekannt, aber ich habe „Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ leider bislang weder gelesen noch den Film gesehen. Dies werde ich auf jeden Fall noch nachholen, denn die Lektüre von „Christiane F. - Mein zweites Leben“ hat mich sehr neugierig auf den Vorgänger gemacht!

Wer aber so wie ich zweifelt, ob er dieses Buch auch ohne Vorkenntnisse lesen kann, der sei beruhigt: Ja, das kann man problemlos! Zumal hier sowieso nochmal auf Christianes Jugend Bezug genommen wird und man viel über die Zeit vor, während und kurz nach der Entstehung des 1. Buches bzw. Films erfährt.

„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ erschien 1982, und mittlerweile ist Christiane Felscherinow 52 Jahre alt. Ihr Körper ist vom ständigen Raubbau gezeichnet, sie leidet u. a. an Hepatitis C und einer damit einhergehenden Leberfibrose. Wie sie selbst schreibt, ist es eigentlich ein Wunder, dass sie noch lebt. Tatsächlich ist ihr Zustand besorgniserregend, und es ist ernüchternd zu erfahren, dass sie nie dauerhaft von den Drogen losgekommen ist.

Christiane erzählt nun in diesem Buch also, wie es ihr ergangen ist, seit sie durch die Kinder vom Bahnhof Zoo berühmt wurde. Sie hatte viele Höhen und Tiefen und hat wahnsinnig viel erlebt, führte ein unstetes Leben in verschiedenen Städten und Ländern. Faszinierend, welche Persönlichkeiten sie als junge Frau zuhauf getroffen hat. Berühmte Musiker wie die Toten Hosen, David Bowie oder Iggy Pop, aber auch Literaten wie Patrick Süskind, Patricia Highsmith und gar Friedrich Dürrenmatt. Ein bisschen Angeberei ist hier schon im Spiel, auch wenn die Autorin es so erzählt, als sei es das Normalste der Welt gewesen.

Christianes Felscherinows Erzählungen sind so kunterbunt, kreuz und quer wie ihre Gedankengänge. Teilweise fiel es mir schwer nachzuvollziehen, in welchem Jahr wir uns befinden, in welcher Stadt die Autorin gerade lebt, wer ihr aktueller Partner ist, ob sie gerade Drogen nimmt oder clean bzw. in einem Substitutionsprogramm ist. Stellenweise fand ich diese Sprunghaftigkeit anstrengend, aber sie spiegelt nunmal ihre echten Gedankengänge wider – wer sich nach einem langen, sehr aufregenden und ereignisreichen Leben zurückerinnert, der kommt von Pontius zu Pilatus. Und ich bin eigentlich froh, dass die Co-Autorin Sonja Vukovic Christiane F.s Erzählstil trotz dieser Mängel authentisch wirken lassen und ihn nicht merklich verändern wollte.

Manchmal konnte ich die Autorin nicht verstehen. Natürlich ist das generell schwierig, da ich selbst mit Drogensucht noch nie in Berührung kam – wie soll ich also das Leben einer schwer Drogenabhängigen, die noch dazu berühmt ist, nachvollziehen können? Doch manchmal hatte ich das Gefühl, sie redete sich vieles selbst schön. Christiane Felscherinow ist zweifellos eine sehr starke Persönlichkeit! Nie versinkt sie im Selbstmitleid oder verfällt ins Jammern, ist durchaus auch selbstkritisch und erzählt eigentlich Hochemotionales eher sachlich-nüchtern. Aber dass sie z. B. ihre Zeit im Frauengefängnis trotz all der schlimmen Dinge als richtig gute Zeit betrachtet, finde ich befremdlich. Auch, dass sie aus purer Sturheit lieber 10 Monate ins Gefängnis geht, als an einem Suchtprogramm teilzunehmen. Teilweise verklärt sie ihren Drogenkonsum geradezu, schreibt z. B., dass es nichts Geileres gibt, als nach der Einnahme von Drogen über der Kloschüssel zu hängen und sich die Seele aus dem Leib zu reihern.

Auch später als Mutter eines Sohnes klingt mir zu sehr die Supermutti durch. Scheinbar macht sie im Gegensatz zu anderen Müttern alles richtig in der Erziehung – und es ist schön, dass ihr Sohn so prächtig gelungen ist und sie ihn über alles liebt. Aber dann verliert sie ihn doch an das Jugendamt, u. a. weil sie mit einem zwielichtigen Drogenbaron-Sohn nach Amsterdam ziehen möchte, ihr Kind aus dem Jugendamt entführt und dann, nachdem man ihn ihr wieder weggenommen hat, sich sofort mit Drogen komplett abschießt und sofort aufgibt, anstatt zumindest zu versuchen, um das Kind, das ihr Leben erst lebenswert macht, zu kämpfen.

Natürlich, es ist einfach schwierig, solch ein Verhalten nachzuvollziehen, und es liegt mir wirklich fern, sie zu kritisieren. Es ist halt nur befremdlich für mich als Leserin. Dabei gibt die Autorin ja selbst zu, dass sie es aufgrund der Tantiemen aus ihrem Buch besser hatte als andere Junkies, denn sie hatte immer genug Geld, um eigentlich ein normales Leben führen zu können. Sie nahm an mehreren Entzugs- bzw. Substitutionsprogrammen teil, und doch griff sie oft teils sehr unüberlegt sofort wieder zu Drogen, wenn sich ihr die Gelegenheit bot. Es ist einfach so schade, dass Christiane Felscherinow ihre Chancen nie richtig wahrgenommen hat.

Mit diesem Buch will sie auch mit dem schlechten Image aufräumen, das ihr dank schlechter Publicity anhaftet. Sie rechnet mit den Journalisten ab, die sich an ihrem Elend laben, Geschichten erfinden und ihr überall auflauern. Dennoch denke ich, dass sie mit diesem sehr intimen Buch eher nochmal unfreiwillig(?) ins große Rampenlicht tritt und den Journalisten noch mehr Futter zuwirft.

Neben den Erzählungen der Autorin finden sich zwischendurch ausführliche Kapitel über die Thematik der Drogensucht und -kriminalität. Diese Einschübe von Sonja Vukovic, der wir diese Biographie durch zahlreiche Interviews und Treffen mit Christiane Felscherinow zu verdanken haben, sind sehr aufschlussreich und informativ, wenngleich sie mir manchmal etwas lang vorkamen. Stellenweise wiederholten sich auch manche Dinge. Meine Ungeduld lag aber auch u.a. daran, dass ich unbedingt Christiane F.s Erzählungen weiterlesen wollte!

Trotz meiner Kritikpunkte erhält „Christiane F. - Mein zweites Leben“ die volle Punktezahl von mir, denn ich möchte mir hier nicht anmaßen, diese Autobiographie, das Leben eines Menschen in Sternen o. Ä. bewerten zu wollen. Sowieso spreche ich für dieses faszinierende Lebensporträt eine unbedingte Leseempfehlung aus!