Rezension

Das Buch wirkt lange nach und bewirkt ein etwas größeres Verständnis einer eigentlich unverständlichen Erkrankung der menschlichen Seele, die letztlich nicht heilbar, aber gut behandelbar ist

Kompass ohne Norden - Neal Shusterman

Kompass ohne Norden
von Neal Shusterman

Bewertet mit 5 Sternen

Neal Shusterman, Kompass ohne Norden, Hanser 2018, ISBN 978-3-446-26046-7

 

Das neue Buch von Neal Shusterman ist der anspruchsvolle und gelungene Versuch, sich mittels einer Geschichte eines Jungen, die stark inspiriert ist von den Krankheitserfahrungen mit seinem eigenen Sohn Brendan, der rätselhaften Krankheit Schizophrenie zu nähern.

Er tut das mit seiner Hauptfigur Caden, der sich für einen ganz normalen Jungen hält. Doch sein Verstand lehrt ihm zunehmend etwas anderes. Dieser kranke Verstand führt ihn auf fantastische Reisen. Er ist dann auf einem Schiff mit einem Kapitän und Bootsleuten, von denen jeder in seiner krankhaften Fantasie eine bestimmte Rolle hat.  Das Schiff ist uralt und seine unzähligen Fahrten, unter anderem zum Marianengraben, dem tiefsten Punkt der Erde, reichen zurück bis in eine finstere Vergangenheit.

 

In der Realität, in seinem alltäglichen Leben, werden ganz normale Gegenstände wie ein Gartenschlauch plötzlich zu einer tödlichen Gefahr. Irgendwann, kurz bevor er in eine Klinik kommt und eine lange Behandlung beginnt, die ihm Besserung bringt, wird Caden klar:

„In den Tagen der Bibel hätte ich als Prophet gegolten. Bei einem Naturvolk würde ich als Medizinmann gefeiert. Im finsteren Mittelalter hätten meine Eltern nach einem Exorzisten geschickt, und im viktorianischen England wäre ich in einer dieser schrecklichen Irrenanstalten gelandet. Heute hat man viel besser Aussichten auf eine vernünftige Behandlung, aber ich würde lieber wie ein Prophet behandelt als wie ein armer, kranker Junge.“

 

Zunächst ist der Einstieg in dieses Buch und in die Gedanken- und Bilderwelt des an Schizophrenie  erkrankten Caden schwer zu lesen und zu verstehen. Shustermans Sohn Brendan, der selbst an dieser Krankheit litt und wieder „sein Stück Himmel gefunden und strahlend aus der Tiefe entronnen“ ist, hat die zunächst wirre Gedankenwelt mit seinen Skizzen das ganze Buch hindurch illustriert, eine ganz besondere Form der Kunst. Auch Teile aus Gedichten Brendans sind in das von vielen persönlich gemachten Erfahrungen des Autors durchtränkte Buch geflossen.

Hat man sich aber einmal durchgekämpft, wird es besser, zumal nach Beginn der Behandlung Cadens in der Klinik seine Gedanken langsam klarer werden.

Es ist eine abenteuerliche Reise in die Tiefen einer jugendlichen Seele, beängstigend und wohltuend einfühlsam gleichermaßen.

 

Das Buch wirkt lange nach und bewirkt ein etwas größeres Verständnis einer eigentlich unverständlichen Erkrankung der menschlichen Seele, die letztlich nicht heilbar, aber gut behandelbar ist.

Es ist mit dem National Book Award 2015 ausgezeichnet worden und Jugendlichen ab 14 Jahren, aber auch allen Erwachsenen zu empfehlen.