Rezension

Das Leben der Anderen

Das glückliche Geheimnis -

Das glückliche Geheimnis
von Arno Geiger

Bewertet mit 4 Sternen

Arno Geiger ist ein Glückspilz. Nicht nur, dass er schon sehr früh wusste, welchen beruflichen Weg er einschlagen wollte. Er hatte auch das Glück dabei in Wien leben zu können - einer Großstadt, in der glückliche Geheimnisse unweit der Straße zu finden sind. Denn während in meinem täglichen Berliner Stadtbild vor allem Glascontainer und Kleiderboxen zu finden sind, gehören zur österreichischen Hauptstadt auch öffentliche Papiercontainer dazu, in der die Wiener ihre Zeitung von gestern und die Glückwunschschreiben der vergangenen Jahrzehnte bequem entsorgen können. Ein Umstand, um den ich die Wiener zutiefst beneide. Denn ich kann Arno Geiger sofort verstehen, als er zufällig über Bananenkisten voller Bücher stolpert und sich seitdem unwahrscheinlich angezogen fühlt von den Papiercontainerschatzkisten. Für die nächsten 25 Jahre werden sie sein Hort der Inspiration und Weisheit. Anfangs kann er mit den von anderen entsorgten, zum Teil seltenen Buchausgaben seinen Lebensunterhalt aufbessern, später findet er in den Briefen und Tagebüchern fremder Leute eine Ahnung von den Themen, die die Menschen bewegen. Geiger lässt uns Leser teilhaben an dieser Entwicklung. Reißt an, wie er sich als junger Student mit dem Schreiben und der Liebe auseinandersetzte, wie sich die Beziehung zu seinen älter werdenden Eltern veränderte, wie er sich fast ein Jahrzehnt im Liebeswirrwarr verlor und gleichzeitig als Autor erste Erfolge feierte. Und immer wieder bringt er seine regelmäßigen Ausflüge zu den Papiercontainern der Stadt mit Gedanken zum Schreiben und Geschichten erzählen in Verbindung. Spannende, unverhoffte Einblicke in des Autors Sein und Werden. Besonders, da ich einen Teil seiner Romane gelesen habe und nun Eindrücke von der anderen Seite erhalte, Anteil nehmen kann am Entstehen der Romane und den Ereignissen, die sich im Leben des Autors ereigneten und letztlich zu diesen Geschichten führten.

Arno Geigers Erzählen übt einen ganz eigenen Sog auf mich aus – das ist mir in seinen Romanen bereits aufgefallen und geht mir nun mit dem essayistisch-autobiografischen Text ebenso. Ich bin ehrlich begeistert, dass er seine Gedanken zum Schreiben mit mir Leser teilt als auch wichtige Punkte seiner Biografie. Er behält genug in der Hinterhand, um sich nicht gänzlich zu entzaubern. Dafür ein dickes Danke, denn ich hatte ehrlich etwas Angst, dass sich der von mir geschätzte Autor mit seinem glücklichen Geheimnis als Unsympath entpuppen könnte. Das Gegenteil ist der Fall. Sein Buch wirkt ehrlich und einfühlsam auf mich, offenbart eine persönliche Entwicklung, die mir Respekt abfordert. Ein äußerst eindrücklicher wie nachhaltiger Text über das Leben, Lesen und Schreiben.