Rezension

Das Unfassbare fassen

Die Stadt der Lebenden -

Die Stadt der Lebenden
von Nicola Lagioia

Bewertet mit 4 Sternen

Das Unfassbare zu fassen - das ist die Absicht in Nicola Lagioias Buch. Unfassbar ist die Tat, die zwei junge Männer begangen haben, sie haben einen anderen jungen Mann langsam und systematisch zu Tode gequält, ohne ersichtlichen Grund, aus einer Laune heraus, im Drogenrausch.

Lagioia hat sein Buch als Reportage aufgebaut, allerdings mit sehr persönlichen und auch politischen Betrachtungen. Die Tat der beiden Männer fasziniert ihn und stößt ihn zugleich auch ab. Ebenso ergeht es der italienischen Gesellschaft, die monatelang über das Verbrechen diskutiert. Dabei spielen die Medien eine nicht immer vorteilhafte Rolle, es werden Grenzen überschritten, Menschen werden an den Pranger gestellt und sind mit der Medienhype vollkommen überfordert. Als Nebenhandlung erfährt man etwas über einen namenlosen holländischen Touristen, der wie selbstverständlich immer wieder einen Jugendlichen missbraucht, aber ungestraft davonkommt.

Die Mischung aus True Crime, Gesellschaftskritik und philosophischen Betrachtungen hat mich zugleich angezogen und abgestoßen. Das Buch ist durch diese Mischung nicht leicht zu lesen. Auch wenn es weitgehend in einem sachlichen Ton gehalten ist, so musste ich doch manchmal pausieren, weil mich die Grausamkeit der Tat und die Reaktion der Täter angefasst hat.

Leider ist die Übersetzung nicht durchgehend geglückt, manchmal holpert es etwas. Auch gibt es einige Längen und Wiederholungen, da hätte ich mir eine Straffung gewünscht. Insgesamt aber fand ich das Buch sehr lesenswert, auch, weil es eine andere Seite des Molochs Rom zeigt, die man als Tourist höchstens dann zu Gesicht bekommt, wenn man selbst Opfer eine kriminellen Tat wurde.

Das Buch ist eine literarische und mentale Herausforderung, aber es lohnt sich sich ihr zu stellen.