Rezension

Rom - Stadt, die einen verschlingt - ein Moloch

Die Stadt der Lebenden -

Die Stadt der Lebenden
von Nicola Lagioia

Bewertet mit 4 Sternen

In Rom wird im März 2016 ein jener Mann zu Tode gequält. Täter sind Marco Prato und Manuel Foffo, zwei junge Männer, denen man diese Abscheulichkeit eigentlich nicht zutraut. Der Roman rekonstruiert die persönliche Entwicklung der Beiden, nimmt insbesondere die Tage vor dem Mord unter die Lupe und wagt einen Erklärungsversuch, wie es dazu kommen konnte.

Die Geschichte um den Mord trägt den Roman, doch gleichzeitig vollzieht Nicola Lagioia eine umfassende Gesellschaftsanalyse der ewigen Stadt. Für eingefleischte Fans von Spannungsliteratur wirkt dieses Konstrukt maximal aufgeblasen, mit Nichtigkeiten überschwemmt. Für mich ist es durch das Kennenlernen unzähliger Bewohner sowie Orte der Stadt ein geschärfter Blick in ein Moloch. Die hinreißende Touristenattraktion Rom ist vollgestopft mit Müll und Schmutz, verlangt ihren Bewohnern viel ab, um überhaupt in ihr Überleben zu können. Gleichzeitig bietet Rom dermaßen viele Verlockungen, dass es schwer ist, ihnen nicht zu erliegen. Schillernd wie in der touristischen Wahrnehmung ist Rom eigentlich nirgends.

Nicola Lagioia skizziert das Zusammenspiel von zufälligen Begegnungen sowie Lebensumständen, die letztendlich in einem grausamen Mord enden. Zugegeben, man versteht trotzdem nicht, wie zwei intelligente Männer dermaßen gewalttätig sein können. Somit ist der Roman ein Zeugnis, dass Mörder sich jederzeit mitten unter uns entwickeln können. Der Autor lässt uns ausführlich an seinen Gedanken über den Fall teilhaben. Dazu bedient er sich interessanter Mittel. Neben der reinen Prosa finden wir WhatsApp-Chats, Zeugenaussagen sowie unzählige Medieninhalte im Roman. Nicola Lagioia fügt eigene Reflexionen über sein Leben, aber auch zu Gesprächen, die er im Zusammenhang mit dem Fall geführt hat, mit ein. Am besten gefallen hat mir sein Konstrukt der Gegenüberstellung der Aussagen von Marco Prato und Manuel Foffo, die sie in getrennten Verhören gemacht haben. So wird die verschobene Wahrnehmung der beiden Täter besonders deutlich.

Die damit erzeugte Komplexität ist eine Herausforderung beim Lesen. Bis ich verstanden hatte, dass es um die Vermittlung eines Gesamteindrucks geht, hatte ich Bedenken überhaupt Alles erfassen zu können. Gleichzeitig wird die eigentliche Handlung ausgebremst. Das kann mitunter anstrengend, vielleicht auch frustrierend sein. Wer einen Thriller erwartet, wird enttäuscht sein. Wer Lust auf eine intensive Auseinandersetzung mit Rom und den Menschen darin hat, wird wie ich ein gewisses Vergnügen beim Lesen empfinden. Durch die auf gesunde Distanz gehaltenen Protagonisten ist es keine klassische Lesefreude, wo man mitfiebert, sondern eher eine analytische, beängstigend interessante Auseinandersetzung.