Rezension

Das verdrängte Verbrechen

Gefährlicher Lavendel - Remy Eyssen

Gefährlicher Lavendel
von Remy Eyssen

Bewertet mit 5 Sternen

          „Gefährlicher Lavendel“ das ist Dr. Leon Ritters dritter Fall nach „Tödlicher Lavendel“ und „Schwarzer Lavendel“!
Die Geschichte beginnt recht ungewöhnlich im Juli des Jahres 1995 und mutet an wie Szenen aus Dantes Inferno. Sie eröffnet dem Leser eine Dramatik, die erschütternder in ihrer Brutalität, in ihrer Menschenverachtung nicht sein kann. Flüchtlinge befinden sich seit drei Tagen und Nächten in einer Nußschale von Boot auf dem weiten, sturmgepeitschten Mittelmeer. Es ist hoffnungslos überfüllt. Angst und Verzweiflung machen sich breit in Dunkelheit, Kälte, Hunger und Durst. Sie sind der irren Willkür der barbarischen Schleuser ausgeliefert. Wer christlichen Glaubens ist, wird erschossen und verschwindet auf Nimmerwiedersehen im tosenden Wasser...

Szenenwechsel - 21 Jahre später -
Weiter geht es im Geschehen auf einer anderen Ebene. Wir befinden uns in Le Lavandou in der wunderbar idyllischen Provence. Leon fühlt sich wohl mit seiner Arbeit als “médecin légiste“, als Rechtsmediziner in der Klinik Saint Sulpice, mit seiner Beziehung zu Isabelle, mit seiner Umgebung. Gerade noch genoß er die wohlig wärmende Märzensonne beim geliebten Boulespiel, das ihm Tiefenentspannung bietet. Da holt ihn der berufliche Alltag ein. Der angesehene, prominente Richter Nicolas Lambert ist spurlos verschwunden. Brannte er mit seiner schönen, jungen Geliebten durch? Das kann nicht sein, denn die attraktive Madame Simon meldet sich bei Captaine Isabelle Morell und erzählt, was sie weiß. Also steckt mehr dahinter? Der Richter setzte sich besonders für die Rechte von Flüchtlingen ein. War das jemandem ein Dorn im Auge? Bald wird er unter besonderen Umständen gefunden, weggeworfen wie Müll. Brutal gefoltert mit unvorstellbaren, grausamen Spuren am ganzen Körper und bestialischen Verletzungen. Nicolas Lambert ist das erste unermesslich gequälte Opfer in einer Reihe von Morden...

Remy Eyssen erzählt fesselnd, atemlos spannend in anschaulicher, ausdrucksvoller Sprache von der ersten bis zur letzten Seite. Dabei ließ er bei mir Kopfkino ablaufen. Er versteht es mit den Worten so umzugehen, dass mir nicht nur Dante einfiel (s.o.), sondern ich mich auch an Breughelsche Kupferstiche erinnerte.
Mit dem smarten, charmanten Deutschfranzosen Leon Ritter hat Remy Eyssen eine Figur geschaffen, die meiner Meinung nach noch sehr viel Potential mitbringt. Ich freue mich auf weitere Fortsetzungen! Auch mit der resoluten, hübschen Isabelle Morell, mit dem Ermittler „Moma“, mit der herrlich spleenigen 83jährigen Véronique und den vielen anderen fabelhaft konzipierten Charakteren.
Von mir eine unbedingte Leseempfehlung für einen wirklich guten Krimiautoren. Man muss die Vorgängerbände nicht gelesen haben. Jedes spricht für sich. Ich vergebe fünf Sterne.