Rezension

Das vermeintliche Buch der Stunde

Das Lied des Propheten -

Das Lied des Propheten
von Paul Lynch

Bewertet mit 3 Sternen

Ein Land auf dem Weg in die Diktatur, die breite Masse schweigt, ist mit den eigenen Belangen beschäftigt, sieht zwar die Zeichen, schweigt aber weiter… So weit, so schlecht! Kommt uns das bekannt vor? Ja, natürlich, denn es scheint in der Menschheitsgeschichte ein wiederkehrendes Phänomen zu sein, dass alle paar Jahrzehnte der Ruf nach einem „starken Mann“ laut wird ( oder, siehe Frankreich, nach einer „starken Frau“). Dann werden die „Zuwanderer“ zu Sündenböcken gemacht, oder andere Minderheiten, unterschiedliche Meinungen werden nicht mehr zugelassen, und Justiz und Presse werden gleichgeschaltet. So geschieht es täglich irgendwo, und wenn wir nicht aufpassen, dann geschieht es hier- morgen!
Das ist im Grunde die Prämisse von Paul Lynchs Booker- preisgekrönten Roman „Das Lied des Propheten“. Und, ja, das geht uns alle an, und weil es so ungeheuer aktuell ist, rasten alle vor Begeisterung über dieses Werk aus. Zurecht? Ich bin mir nicht sicher, denn ein aktuelles Thema allein macht ja noch kein Meisterwerk.
Lynch erzählt in seinem Roman von Eilish aus Dublin, die als Wissenschaftlicherin arbeitet, vier Kinder hat, und mit Larry, einem Gewerkschaftler verheiratet ist. Neben den Kindern und ihrer Arbeit kümmert sie sich noch um ihren dementen Vater. Eines Tages verschwindet Larry im Labyrinth einer zunehmend tyrannischer werdenden Regierungsgewalt. Die Gesellschaft wird radikaler, alles läuft aus dem Ruder und schließlich ist Eilish gezwungen, sich zu entscheiden, um ihre Kinder, sich selbst und ihre Überzeugungen zu retten. 
Wahrscheinlich ist das Lynchs zentrales Thema: Wann reagieren wir, wenn die Dinge sich verschieben? Was sind wir bereit aufzugeben? Wann schauen wir der Realität ins Auge? So schnell, wie möglich, scheint er uns sagen zu wollen.
Lynch schreibt in einer atemlosen Prosa, ohne gekennzeichnete direkte Rede, mit teils allzu allegorischen, verschwurbelten Satzkonstruktionen. Der politische Alptraum, verpackt in kunstvolle Worte. Bei mir kam das leider nicht an, was eventuell auch an der teils antiquiert wirkenden Übersetzung lag ( Wer bitte sagt:“ Sag, Larry, wie kann das nichts weiter sein?“)?
Wenn Lynchs Roman es schafft, Bewusstsein zu generieren, für die bedrohlichen Umstände der Weltpolitik, dann allerdings hat er zu Recht den Booker Prize gewonnen!