Rezension

Der verflixte letzte Coup

Billy Summers -

Billy Summers
von Stephen King

Bewertet mit 5 Sternen

Ich habe ja immer das Gefühl, King schreibt am besten, wenn die Geschichte nichts mit übernatürlichen Monstern zu tun hat – höchstens mit menschlichen. In “Billy Summers” merkst du als Leser:in schnell, dass es zwischen Schwarz und Weiß eine Unmenge Graustufen gibt. Der Antiheld der Geschichte ist zwar durchaus sympathisch, aber er tötet. Allerdings nur die Bösen. Er nimmt einen Auftrag gar nicht erst an, wenn er nicht überzeugt ist, dass es einen wirklich schlechten Menschen trifft. Und dennoch ist ihm klar, dass er als Auftragskiller nicht von sich behaupten kann, zu den Guten zu gehören.

Er führt sein Leben zwischen Licht und Schatten, und das noch in einer ständigen Doppelexistenz. Denn er ist hochintelligent, gibt sich aber als minderbemittelter Einfaltspinsel aus, der nur zufällig mit einem großen Talent als Scharfschütze gesegnet wurde. Da ist Billy, und da ist der dumme Billie. Seine Auftraggeber haben keine Ahnung, dass es immer einen Plan B gibt und einen Plan C, und dass er sich eine beachtliche Anzahl falscher Identitäten eingerichtet hat. Jede davon hat Ausweise, Kreditkarten, Laptops, Perücken, falsche Schnurrbärte, Silkonfettpolster – alles was er braucht, sollte er schnell abtauchen müssen. Und dieses Mal sieht es ganz danach aus, als müsse er nach dem Auftrag nicht nur vor dem Gesetz flüchten, sondern auch vor seinen Auftraggebern. Jedenfalls hat Billy da ein ganz schlechtes Gefühl, und wenn die 2 Millionen Gage nicht wären …

Der Killer als Autor

Billys Zwiespältigkeit ist ein Aspekt, der die Geschichte schon unwiderstehlich macht. Aber für Leser:innen ist der wahre Knaller Billys momentane Tarnung. Denn es ist noch nicht ganz klar, wann das Attentat genau vonstatten gehen kann, und so lange braucht Billy eine falsche Existenz, die ihm erlaubt, sich dauerhaft in einer bestimmten Gegend aufzuhalten, ohne dass er da auffällt. Eine ganz normale Wohnung, ein ganz normales Aussehen, und mit den Nachbarn sollte er sich auch gutstellen – aber nicht so gut, dass sie sich allzu deutlich an ihn erinnern würden.

Seine Auftraggeber, die ihn ja für verblödet halten, kommen auf die ‘wahnsinnig witzige’ Idee, ihn zur Tarnung als vielversprechenden Schriftsteller zu etablieren, der in Nähe des Gerichts ein kleines Büro zum Schreiben gemietet hat. Natürlich hat dieses Büro klare Sicht auf den Ort, an dem sich das Opfer hoffentlich an einem bestimmten Tag aufhalten wird, in Schusslinie. Aber aus purem Sadismus halten sie Billie an, wirklich zu versuchen, einen Bestseller zu schreiben. Zum Totlachen.

Dass Billy immer schon Schriftsteller sein wollte, können sie ja nicht ahnen. Für ihn wird also eigentlich ein Traum wahr! Aber ihm ist klar, dass sein Schreibstil nicht zu intelligent klingen darf, also beschließt er, seine Lebensgeschichte als Roman aufzuschreiben – aber so, wie der ‘dumme Billy’ sie erzählen würde. Schnell ist er zerrissen zwischen Freude am Schreiben und schrecklichen Erinnerungen, wie dem Mord an seiner kleinen Schwester, als sie 9 Jahre alt war und er 11. Und immer mehr begreift er, dass das kindliche Ich aus ihm spricht, das bisher niemals eine Stimme bekommen hat. Aus dem unbeholfenen Schreibstil entfaltet sich eine enorme Ausdrucksstärke und emotionale Wucht, ein echtes Kunststück von King. »Verdammt«, dachte ich mir mehr als einmal. »Dieser Auftragskiller ist auf verquere Art und Weise ein guter, wenn auch fehlgeleiteter Mensch.«

Der Killer als Mensch

Im Plan war das zwar nicht vorgesehen, aber Billys Tarnexistenz als Autor zieht sich über Monate hin, und aus Tarnfreundschaften werden echte Freundschaften, vielleicht die ersten in Billys Leben. Die unvermeidliche Tragik, egal wie die Geschichte ausgeht, blutet nur so aus den Seiten, denn Billy kann nicht mehr zurück in seine herzlose Existenz. Warum tun Sie mir das an, Mr. King?

Als Billys auf der Flucht die junge Alice, Opfer einer Gruppenvergewaltigung, von der Straße rettet, wird sein Leben noch komplizierter als ohnehin schon. Und hier brilliert King: Er zeigt die zögerlichen Interaktionen dieser beiden Menschen, die schier gar nichts gemein haben, mit Subtilität und schnörkellosem Tiefgang. Dieses vorsichtige Miteinander, das nie in Kitsch abrutscht, verändert Billy noch tiefgehender. Verwundert fragt er sich, ob der Zyklus aus Gewalt und Rache, dem er sich verschrieben hat, wirklich noch das ist, was er vom Leben will, und ob es überhaupt andere Möglichkeiten für ihn gibt. Aber auch hier umschifft King abgedroschene Feelgood-Vibes, und das Ende ist ein Geniestreich – allerdings einer, der dich nachdenklich und mit wehem Herzen zurücklässt.

Fazit

Billy Summers ist Auftragskiller, nimmt einen Auftrag aber nur an, wenn es einen schlechten Menschen trifft, obwohl er sich durchaus bewusst ist, dass das sein Gewissen nicht reinwaschen kann. Für seinen neusten Auftrag quartiert er sich als angeblicher Schriftsteller in der Nähe des Ortes ein, an dem das Attentat stattfinden soll, und schreibt seine Lebensgeschichte auf – allerdings aus Sicht seines Alter Egos, des dummen Billy, denn seinen Auftraggebern gaukelt er stets vor, er sei geistig minderbemittelt. Billy, der dumme Billy, der falsche Schriftsteller Billy, der Billy, der wirklich immer schon Autor sein wollte … Das Buch hat so viele Schichten wie sein überraschend komplexer Protagonist – und das potenziert sich noch, als Billy die junge Alice rettet.

King erzählt eine zutiefst originelle Geschichte, die ihre ruhige Spannung nicht aus oberflächlichen Schockeffekten speist, sondern aus den Facetten eines Lebens voll tragischer Unvermeidlichkeiten, das im Schreiben des Protagonisten endlich einen wahrhaftigen Ausdruck findet.