Rezension

Die fleißige Agnes Martin

Vom Himmel zum Meer - Lisa Marcks

Vom Himmel zum Meer
von Lisa Marcks

Bewertet mit 3 Sternen

1892. Agnes Martin, die seit ihrem 5. Lebensjahr in einem Waisenhaus unter der Leitung von Pfarrer Wieland im Elsass aufwuchs, muss dieses mit 21 Jahren verlassen. Pfarrer Wieland hat ihr allerdings schon eine Anstellung als Gesellschafterin in Hamburg vermittelt, damit sie nicht obdachlos ist. Bei der Pfarrerwitwe Tilly Bevenkamp soll sie ihr neues Zuhause finden. Doch als Agnes Hamburg erreicht, ist ihr erstes Zusammentreffen mit Tilly erst einmal wenig erfolgversprechend, denn Tilly hat sie gar nicht erwartet und geht weiter ihrer Arbeit im örtlichen Waisenhaus nach. Agnes allerdings lässt sich dadurch nicht einschüchtern und zieht in Tillys Haushalt ein, versucht mit begrenzten Mitteln einen normalen Tagesablauf zu organisieren. Als in Hamburg die Cholera ausbricht, verlässt Agnes in einer Nacht und Nebelaktion mit einigen Waisenkindern und Tilly im Schlepptau die Stadt Richtung Ostsee, Tillys alter Heimat, wo es immer noch deren Elternhaus gibt. Dort ist Agnes in ihrem Element, verköstigt nicht nur mit Hilfe der Dorfbewohner die Kinder, sondern backt auch noch für die Strandurlauber, die ihren Köstlichkeiten nicht wiederstehen können und sie ihr gegen Geld aus der Hand reißen. Bei einem ihrer Spaziergänge trifft Agnes auf den charmanten Benjamin von Reiker, der ihr Herz im Sturm erobert. Doch sie findet auch ein altes leerstehendes Gutshaus und träumt davon, in der gut ausgestatteten Küche ihren Geschäftszweig zu erweitern. Doch der unbekannte Besitzer des Hauses macht ihr allerdings einen Strich durch die Rechnung…

Lisa Marcks hat mit ihrem Buch „Vom Himmel zum Meer“ einen unterhaltsamen und gefühlvollen Roman vor historischer Kulisse vorgelegt. Der Schreibstil ist flüssig, bildgewaltig und anrührend, der Leser lässt sich schnell an Agnes‘ Seite nieder und begleitet sie auf einem aufregenden Lebensabschnitt, während ihr Herz und ihre Seele weit offen stehen und dem Leser Einblick gewähren zu ihren geheimsten Wünschen und Träumen. Agnes‘ Ideenreichtum mutet utopisch an, um alle Personen über die Runden zu bringen, da der Tag nur 24 Stunden hat. Die Autorin hat den historischen Hintergrund gut mit ihrer Handlung verwebt, zeigt die gesellschaftlichen Standesunterschiede auf und die damalige Rolle der Frau. Das Baden der nackten Füße in der Ostsee stellte so manche Dame vor eine Herausforderung. Die Beschreibungen der Örtlichkeiten an der Ostsee, sind farbenfroh und lassen den Leser von einem verwunschenen alten Gutshaus mit wildem Garten sowie Spaziergängen am Strand träumen. Trotzdem lässt die Geschichte leider an Tiefgründigkeit vermissen, kratzt nur an der Oberfläche und bleibt deshalb wohl nicht lange im Gedächtnis.

Die Charaktere sind ein buntes Potpourri von teils skurrilen Typen, die sich heimlich in das Herz des Lesers schleichen und sich dort einnisten. Unterschiedlich angelegt mit vielen individuellen Ecken und Kanten wirken sie durchweg authentisch und lebendig. Agnes ist eine Frau mit einem Riesenherz, immer ist sie für alle da, krempelt die Ärmel hoch und ist sich für nichts zu schade. Die Menschen liegen ihr am Herzen, sie findet überall Zugang, was auch ihrer offenen und unverfälschten Art zuzuschreiben ist. Sie sorgt sich mehr um andere als um sich selbst, gerade das macht sie so liebenswert. Tilly ist eine traumatisierte Frau, nach außen herrisch, manchmal hart und spröde, ist sie doch nur verängstigt und in ihrer Welt gefangen, weil sie nie über etwas aus ihrer Vergangenheit hinweggekommen ist. Fräulein Frieda ist eine Klasse für sich, erst denkt man, sie ist eine ältliche Dame mit Geldsorgen, doch dann erlebt man als Leser eine Überraschung nach der anderen. Pfarrer Wieland ist ein Mann mit offenem Herz, ebenso Charles, der immer so brummig daherkommt. Aber die besten Protagonisten sind die Dorfbewohner, die erst einsilbig und ablehnend erscheinen, um dann so etwas wie eine zweite Familie zu werden. Selbst Ida, der Hund, kann da nicht mithalten.

„Vom Himmel zum Meer“ ist ein Roman, der leider nicht in die Tiefe geht. Eine kurzweilige Lektüre, die ein paar unterhaltsame Stunden beschert.