Rezension

Die Konter-Evolution

Der Gott am Ende der Straße - Louise Erdrich

Der Gott am Ende der Straße
von Louise Erdrich

Louise Erdrich greift in diesem Roman ein Thema auf, welches schon häufiger bearbeitet wurde, bisher meines Wissens jedoch noch nicht auf diese Art und Weise. Wir kennen "Children of Men" mit der Vorstellung, dass die Menschheit überaltert und keine Kinder mehr geboren werden. Oder von mir zuletzt begeistert gelesen "Die Geschichte der schweigenden Frauen", worin immer weniger Mädchen geboren werden und deshalb ein Geschlechterungleichgewicht mit entsprechender Ausbeutung zustande kommt.

In ihrer Dystopie entwirft Erdrich einen Bericht einer schwangeren, katholischen Indianerin, die für ihr Ungeborenes ihren Weg und wichtige Überlieferungen aus der Zeit "davor" in einer Art Tagebuch festhält. Wir erfahren keine wissenschaftliche Hintergründe, aber immer deutlicher scheint durch, dass sich die Evolution umkehrt und alle Lebewesen von der Pflanze über das Tier hin zum Menschen Nachkommen prähistorischer Ausprägung ausbilden. Der Plot ist in der Nahen Zukunft verortet, denn die Protagonistin kann sich noch an eine Kindheit mit Schnee erinnern. Denn auch der Klimawandel ist vorangeschritten und richtige Winter gibt es nicht mehr.

Mir gefällt der Erzählstil der Autorin sehr gut. Spannend verfolgt man die Flucht der Schwangeren von religiösen Fanatikern, die nun die Geschicke des Staates in der Hand haben. Und so zieht einen die Autorin hinein in ihre Schreckens-Fantasie. Nur, dass der Schrecken nicht durch die Veränderung der evolutionären Veränderung daherkommt, sondern viel mehr durch die beängstigenden Versuche der "Zivilisation", diese durch gänzlich unzivilisertes Verhalten aufrechtzuerhalten. Schmerzlich wird dem Leser bewusst, wie schnell Grundrechte ausgehebelt werden können, um angeblich "das Richtige" zu tun. Plötzlich verliert eine gesamte Bevölkerungsschicht das Recht über den eigenen Körper zu bestimmen.

Der einzige Kritikpunkt meinerseits, bei dem ich mich jedoch dafür entschieden habe, ihn keine Auswirkung auf meine Punktebewertung zu haben, ist der Titel und das Layout der deutschen Ausgabe. Die Übersetzung des Romans ist wirklich sehr gut gelungen, aber was sich der Verlag beim Cover gedacht hat, ist fraglich. Die Originalausgabe des Buches trägt den viel passenderen Titel "The Future Home Of The Living God" und im Hintergrund ist auf dem Hardcover ein Ultraschallbild eines Ungeborenen zu sehen, auf dem Paperback ein Kreislauf mit evolutionären Abschnitten verschiedener Lebensformen. Beides viel passender als die Zugvögel, die zwar keine Störche sind, aber auf den ersten Blick verdächtig danach aussehen. Grundsätzlich gefällt mir die Gestaltung des Covers, es passt nur nicht unbedingt zu diesem Buch.

Insgesamt bekommt der Roman von Louise Erdrich eine eindeutige Leseempfehlung von mir. Wer Dystopien mag, auch noch ein Herz für Prepper hat und sich nicht von schonungslosen Beschreibungen des schwangeren weiblichen Körpers abschrecken lässt, ist hier genau richtig.