Rezension

Drama der Vergangenheit, Krimi der Gegenwart

Der Geiger - Mechtild Borrmann

Der Geiger
von Mechtild Borrmann

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt

Es ist Mai im Jahre 1948, als der berühmte russische Geiger Ilja Grenko sein letztes Konzert gibt.
Grenko hat schon viele Reisen durch Europa gemacht um in verschiedenen Ländern zu spielen. Genug Reisen um verdächtig zu werden. Und als er dann noch eine Reisegenehmigung nach Wien für sich und seine Familie beantragt, wird der Staat hellhörig. Grenko muss ein Verräter sein.
Noch kurz zuvor hatte ein Freund ihn gewarnt den Antrag zurück zu ziehen. Doch Grenko interessiert sich nicht für Politik, er will doch nur spielen und seine Familie mit einer Reise überraschen, was soll daran schlecht sein?
Doch Unwissenheit und Gutgläubigkeit schützt ihn nicht. Grenko wird nach seinem Konzert in Haft genommen, kann sich noch nicht einmal von seiner Frau verabschieden.
In der Haft wird ihm ein Geständnis aufgezwungen, er glaubt seiner Familie damit helfen zu können, doch diese ahnt nichts von dem, was wirklich geschieht.
Seiner Frau wird erzählt er hätte sich abgesetzt, ihre Besitztümer werden konfisziert und sie verbannt, muss für wenig Geld und in sehr widrigen Umständen hart arbeiten um zu überleben. Während Grenko Zwangsarbeit in einer Kohlenmine leistet.
Jahre später, als seine Frau schon lange mit der Sache abgeschlossen hat, erreicht sie ein Brief von ihrem Mann. Er ist schon lange tot, doch sein letzter Wunsch ist es, dass rehabilitiert wird und seine Geige, ein wertvolles Familienerbstück, dass ihm bei der Verhaftung abgenommen wurde wieder in den Besitz der Familie kommt.
Eine Aufgabe, die noch Grenkos Enkel beschäftigen wird und ein finsteres Geheimnis birgt.

Meine Meinung

Als ich anfing das Buch zu lesen, dachte ich, ich hätte es hier mit einem historischen Familiendrama zu tun. Dies stimmt zwar auch, doch es verbirgt sich noch mehr dahinter. Denn wir haben hier auch einen Krimi vor uns, der uns packt, viele Fragen auf wirft, die wir bis kurz vor Schluss absolut nicht beantworten können.

Immer wieder wechselt der Autor von Vergangenheit in die Gegenwart. Dies wirkt jedoch nicht verwirrend, sondern macht die ganze Geschichte spannender, die Menschen plastischer und wir werden so Stück für Stück in die Familiengeschichte eingeführt.
Eigentlich ein wenig absurd, wissen wir doch mehr über die Familie, als der Enkel Sascha, der seinen Weg verloren hat und erst jetzt wieder die Nähe zu seinen Wurzeln wiederentdeckt.
Die Geschichte, die in der Vergangenheit spielt ist unheimlich emotional, wir folgen Menschen, die am Rande des Nichts stehen und nichts weiter wollen als zu überleben. Wie sie kämpfen und mit den härtesten Situationen zurecht kommen müssen.
Obwohl ich keine russischen Wurzeln habe, habe ich vor kurzem herausgefunden, dass ich russische Geschichte sehr interessant finde und dies hat sich hier wieder bestätigt. Es ist eine Art von Heimeligkeit trotz übelster Umstände, Verbundenheit und Lebenswille.
Die Autorin schafft es unheimlich gut all dies darzustellen und fasziniert den Leser angesichts der Schärfe, mit der sie ihre Charaktere erschafft. Es scheint, als wären sie wirklich.
Die Personen der Gegenwart hingegen verlieren etwas an Schärfe. Sie wirken zwar plastisch und Handlungen sind zum großen Teil nachvollziehbar, doch in einigen Punkten wirken sie zu stilisiert.
Vielleicht liegt das jedoch auch nur daran, das ich die Menschen der jetzigen Zeit kenne, die von damals nicht, weshalb ich einfach die Fehler in den modernen Menschen besser herausfiltern kann.
Ich denke jedoch das es auch daher rührt, dass die beiden Großeltern eher gutbürgerlich sind, ein normales Leben führen. Sascha jedoch hat seine Wurzeln in der Kriminalität, hat Kontakte, die einiges bewirken, dass einem normalen Menschen als Leser etwas übertrieben vorkommt.

Die Erzählform ist sehr gut gewählt, wir haben einen personellen Erzähler, der uns immer nur ein sehr begrenztes Blickfeld bietet, so dass die Spannung wirklich erhalten bleibt.
In den verschiedenen Kapitel springen wir natürlich von Sascha zu seinem Großvater und seiner Großmutter. Jedoch wissen wir immer, mit wem wir es zu tun haben, so dass keine Verwirrung zurück bleibt oder wir uns immer erst einlesen müssen.

Der Krimiteil ist sehr gut gestaltet. Wir fangen langsam an, werden in die Materie eingeführt und dann geht es allmählich zur Sache, das Tempo wird stetig gesteigert, wir sehen uns beim lesen zusammen mit Sascha ständig um, verdächtigen jeden, bis letztlich der Showdown alles aufklärt, nicht jedoch ohne das wir um das Leben verschiedener Menschen fürchten und bis kurz vor Schluss nicht wissen, wer wirklich die Guten sind.

Fazit

Ein schönes Buch, das dadurch besticht, das es mehrere Kategorien abdeckt. Man wird berührt von der Vergangenheit und fiebert mit dem Protagonisten der Gegenwart mit.
Berührend und spannend zugleich.