Rezension

Ein Buch wie eine Umarmung...

Herr Mozart wacht auf - Eva Baronsky

Herr Mozart wacht auf
von Eva Baronsky

Bewertet mit 5 Sternen

Am Vorabend noch hat er auf dem Sterbebett gelegen. Nun erwacht Wolfgang Amadé Mozart an einem unbekannten Ort und - wie ihm nach und nach klar wird - in einer fremden Zeit. Die Ungeheuerlichkeit seiner Zeitreise von seinem Todestag anno 1791 ins Jahr 2006 kann er sich nur mit einem göttlichen Auftrag erklären: Er soll endlich sein Requiem beenden.

Als wunderlicher Kauz und lebender Anachronismus irrt Wolfgang durch das moderne Wien, scheitert an U-Bahntüren und fehlenden Ausweisen. Einzig die Musik dient ihm als Kompass, um sich in der erschreckend veränderten Welt zu orientieren. Zur Seite stehen ihm ein polnischer Stehgeiger, das Mädchen Anju und seine Lust, hergebrachte Harmonien auf den Kopf zu stellen. Doch je länger sich Wolfgang in der fremden Zeit aufhält, desto drängender wird die Frage, was ihn erwartet, wenn er das Requiem vollendet hat.

"Nicht weit von seiner Bettstatt stand ein gläserner Tisch, darauf lag Papier, eine rechte Menge Papier, ein ganzer Stapel gar, weiß wie Jännerschnee und glatt wie feinste Seide. Er strich mit den Fingerspitzen darüber. Paradiesisch glatt, fürwahr, an diesem Ort war nicht zu zweifeln! Eine Feder fand er keine, doch ein Bleyweißstift aus lackiertem Holz und ein anderes Schreibgerät, dessen Beschaffenheit er nicht zu deuten wusste, lagen parat. Er nickte unwillkürlich. Wer auch immer ihn hierhergebracht haben mochte, zeigte überdeutlich, was er von ihm erwartete: dass er sein letztes Werk, sein Requiem, nun vollende, sei dieser Ort ein Schon, ein Noch oder ein Dazwischen." (S. 13/14)

Ich habe ja schon manch ein erstaunliches Debüt gelesen - aber dieser Romanerstling von Eva Baronsky ist etwas ganz Besonderes. Obschon sie den berühmtesten Komponisten der Wiener Klassik in das 21. Jahrhundert versetzt und ihn damit zwangsläufig jeder Menge absurder und skurriler Situationen aussetzt ( Musik ohne Orchester, Fuhrwerke ohne Pferde, Licht ohne Kerzen), gelingt es der Autorin, sich dem Genie mit all seinen überlieferten Verschrobenheiten, seiner verdreht-gekünstelten Sprache, seinen spontanen Einfällen und der sprudelnden Atemlosigkeit seines genialen Geistes auf eine sehr liebevolle Art anzunähern. Bei Baronsky ist Mozart der liebenswerte, verspielte und manchmal lustvoll kindische Leichtfuß, dem Musik über alles geht, der mit dem Geld nicht hauszuhalten weiß, Verpflichtungen eher aus Übermut oder Liebeskummer verschludert denn aus Desinteresse und das Genie, dem Musik aus allem, was ihn umgibt, anzufliegen scheint.

"Wo kommt er eigentlich her?" - "Hat er mir nie gesagt. Weiß ich nur, dass ganze Familie ist tot. Muss passiert sein etwas Schlimmes, vielleicht irgendeine Krieg..." - "Dafür ist er aber reichlich albern." - "Ist psychologisch, glaube ich. Macht er immer Unsinn, wenn ich rede ernst mit ihm. Sagt er verrückte Sätze dann, oder tanzt er herum... Komische Vogel. Aber immer wenn ich höre Musik von Wolfgang, denke ich, ist er kleine Bruder von liebe Gott." (S. 178)

Die Musik zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman - und hier besonders das ominöse Requiem, das Mozart noch auf seinem Totenbett versucht hat zu vollenden - vergebens. Die einzelnen Abschnitte des Buches sind mit den verschiedenen Sätzen der Totenmesse überschrieben, gefolgt von jeweils einigen Zeilen des Gesangs. Besondere Ehrfurcht hatte Mozart seinerzeit bei der Komposition des Requiems vor dem 'Lacrimosa', was auch hier im Roman wieder aufgegrffen wird...

Aber Baronsky gelingt es auf ganz wundervolle Art, zu demonstrieren, wie im Grunde der ganze Mensch Mozart die Musik lebt. Im Roman hört er sich durch die Komponisten, die in den Jahrhunderten nach ihm von Bedeutung waren, stürzt sich aber auch mit großer Begeisterung in alle modernen Musikrichtungen wie den Jazz. Aber auch Gerüche, Eindrücke, Geräusche, Empfindungen übersetzt Mozart in immer unterschiedliche Musik - ein unerschöpflicher Quell immenser Schaffenskraft.

"Zu Hause. Das waren nicht einmal die Menschen, die man Freunde nannte, solange sie einer Welt angehörten, die einem selbst doch immer fremd und verwehrt bliebe. Zu Hause, das konnte nur ein kleiner Ort im eigenen Herzen sein, tief im Innern. Wolfgang atmete lange aus. Er brauchte nicht einmal in sich hineinzuhorchen. Tief in seinem Herzen, tief in seinem Innern war Musik, nichts als Musik, und würde nie etwas anderes sein." (S. 189)

Neben der liebevollen Zeichnung der Charaktere und einem leichtfüßigen, eingängigen Schreibstil ist es die gelungene Mischung aus Tragik und Komik, Melancholie und Humor, die das Buch zu einem wahren Lesevergnügen werden lassen. Ein Buch wie eine Umarmung - eine liebevolle Annäherung an ein Genie, tragikomisch, voller melancholischer Poesie und Musik... Für mich eine absolut bezaubernde Entdeckung!

© Parden

Kommentare

Naibenak kommentierte am 28. Juli 2016 um 09:07

Oh Parden... wiedermal ein Buch, das du mir mit dieser tollen Rezension wahnsinnig schmackhaft machst <3 Ich als Musikerseele will - nein - muss(!) das lesen ;) Auch die gewählten Zitate sind echt schön! Vielen Dank dafür und schwups... rauf auf die WuLi mit dem Buch, aber ganz weit nach oben :-)

parden kommentierte am 28. Juli 2016 um 17:42

Ja, das Buch lohnt sich unbedingt. Wirklich ein sehr besonderer Roman, der mir außerordentlich gut gefallen hat!

Federfee kommentierte am 31. August 2016 um 09:48

Mir hat es ebenso gut gefallen und deine Rezension auch.

parden kommentierte am 04. September 2016 um 22:21

Oh, herzlichen Dank!