Rezension

Ein geisterhaftes Abenteuer

Geisterritter - Cornelia Funke

Geisterritter
von Cornelia Funke

Bewertet mit 4 Sternen

Story und Charaktere:

Der elfjährige Jon Whitcroft hat es nicht leicht. Sein Vater ist gestorben, als er vier war, danach hatte er seine Familie für sich, war der Mann im Haus und musste seine Mutter mit niemandem außer seinen Schwestern teilen. Seit allerdings der Vollbart da ist, ist alles anders. Plötzlich verbringt seine Mutter alle Zeit, die sie hat, mit ihm und nicht mehr mit ihrem Sohn und nun schlagen sie auch noch dem Fass den Boden aus – sie schicken Jon auf ein Internat in Salisbury.
Miesgelaunt und mit dem Kopf voll bösartiger Gedanken an den Verlobten ihrer Mutter, macht er sich auf den Weg zu seiner neuen Schule, die eine Stunde und neun Minuten weit weg liegt. Hier vergräbt er sich zunächst im Heimweh, lehnt seine beiden neuen Zimmerkameraden ab und will nichts mit Salisbury zu tun haben. Dann jedoch, in der sechsten Nacht, passiert etwas Folgenschweres. Etwas, das Jon verändern wird. Vor dem Fenster seines Zimmers tauchen plötzlich drei Geisterreiter auf, die zu ihm hinaufstarren und ihn in den nächsten Tagen jagen werden. Jon ist völlig von der Rolle, findet aber sehr bald eine Verbündete in Ella – dem Mädchen, dessen Großmutter die Geistertouren in der Kathedrale gibt. Sie glaubt an Jons Geistererscheinungen und klärt zusammen mit ihrer Großmutter bald auf, wer Jon da verfolgt. Ein alter Familienfluch lastet auf Jon, welcher den ruhelosen Geist Stourtons hinter allen Hartgills herjagt, um diese zu töten. Ella und ihre Großmutter suchen zusammen ein Mittel gegen diesen Spuk – einen weiteren Geist. Longspee war seinerzeit ein Ritter, dessen unruhiger Geist durch einen Eid an das Diesseits gebunden ist. Er hat geschworen, keinen Frieden zu finden, bis seine Seele reingewaschen ist von all seinen schandhaften Taten. Dies will er erreichen, indem er den Unschuldigen gegen die Grausamen beisteht und den Schwachen gegen die Starken. In ihm findet Jon einen starken Beschützer. Um sich erkenntlich zu zeigen, fragt er Longspee, was er für ihn tun kann. Mit dieser Frage entspinnt sich ein Netz um lang vergangene Zeiten, Intrigen und eine tragische Liebesgeschichte, die zwei Herzen im Tode trennt. Ein Abenteuer entbrennt, das so manche Überraschung bereithält und den Leser erst auf den letzten Seiten wieder loslässt.

Jon, dessen Nerven im Buch ganz schön überstrapaziert werden, baut innerhalb kürzester Zeit eine Bindung zu seiner Freundin Ella und dem Geist Longspee auf. Er ist ein sehr emotionaler Mensch, der aus dem Gefühl heraus handelt. Da die Geschichte in der Ich-Form als Erinnerung an eine damalige Zeit aus dem Erwachsenenalter heraus geschildert wird, halte ich es der Autorin zu Gute, dass man hier und da das Gefühl hat, es mit einem älteren Jungen zu tun zu haben. Ich habe mich hier und da sehr schwer getan, zu glauben, dass Jon so jung ist.
Ella ist ein sehr aufgewecktes Mädchen, mit ungeheuer viel Selbstbewusstsein. Sie lässt sich niemals den Mund verbieten, aber auch nicht in die Karten schauen. Sich Ausreden und Pläne aus dem Handgelenk zu schütteln, gehört genauso zu ihrem Wesen, wie das Finden von Lösungen, wenn Jon nicht weiß, was er tun soll. Sie kann dabei sehr forsch sein und erreicht immer das, was sie will.
Ellas Großmutter Zelda ist eine etwas verschrobene, seltsam anmutende Figur. Sie geht an Krücken und ist deshalb zur Zeit nicht im Geistertourdienst. So kann sie ihre Enkelin und ihren neuen Freund unterstützen, was sie auch nach Kräften tut. Geister sind nun einmal ihre Spezialität.
Die beiden Nebencharaktere Angus und Stu, die zusammen mit Jon ein Zimmer im Internat bewohnen, machen die ganze Sache rund um die Schule plastischer. Angus singt im Chor, worüber Jon sich immer wieder wundern muss, denn eigentlich ist Angus äußerlich überhaupt nicht der Typ dafür. Groß und breitschultrig könnte man ihn sich wohl eher als Footballspieler vorstellen, als als Sängerknabe. Zusammen mit Stu schließt er Wetten ab, von denen eine Jon betrifft. Eine Wette, dessen Ausgang den beiden die Augen für völlig neue Dinge dieser Welt öffnet.
Der Vollbart, wie Jon den Verlobten seiner Mutter nennt, hat ebenfalls keine unbedeutende Rolle. Er lehrt Jon Akzeptanz – auf sehr subtile Weise. Seine Figur zeigt dem Leser, wie wichtig ist, seine Vorurteile erst auf die Probe zu stellen, bevor man sie zu seinem Lebensinhalt macht.
Die auftauchenden Geister werden sehr glaubhaft dargestellt. Während man die einen zur Hölle wünscht, fühlt man mit dem anderen mit. Man hegt Argwohn, spürt Erleichterung, drückt die Daumen, hält den Atem an.
Bis auf das Verhalten der Kinder, die für mich einfach nicht in die Rolle von Elfjährigen passen wollen, sind die Charaktere sehr schön ausgearbeitet worden. Die eher unwichtigen Nebencharaktere bleiben blass, bekommen aber dennoch genug Raum, um entsprechend ihrer Rolle zu agieren. So sorgt Cornelia Funke dafür, dass jeder Charakter seinen passenden Platz erhält.

Was mir besonders gefallen hat:

Bücher, die für Kurzweil sorgen, legen immer ein Tempo vor, das mich gebannt im Buch hängenbleiben lässt. Nachdem ich mich mit dem Anfang etwas schwer tat, der sich vor allem mit dem Einführen der Charaktere beschäftigt, hat Cornelia Funke mich mit der Geschichte um die verschiedenen Geister dann aber doch gepackt. Die Charaktere wurden immer greifbarer und  bekamen immer mehr Form. Das Abenteuer, das sich entspinnt, beschränkt sich nicht nur auf einen linearen Ablauf, sondern lässt den roten Faden ein wenig nach links und rechts schlängeln. Das bringt Abwechslung in den Text und sorgt für immer neue Überraschungen.
Der Schreibstil in diesem Buch ist recht einfach gehalten. Bis auf die englischen Namen, sollten Kinder im angegebenen Lesealter keine Probleme haben, das Buch zu lesen.

Zusatz: Altersempfehlung

An diesem Punkt muss ich auch noch einmal genau darauf eingehen –  auf das empfohlene Lesealter. Da das Buch zum Teil doch ganz schön gruselig und die Geschichte durch die tragische Liebesgeschichte, die Eide und den Fluch eben nicht so einfach ist wie ein für mich typisches Kinderbuch, würde ich selbst das Buch eher ab 12 Jahren empfehlen und weniger ab 10.

Was mir nicht so gut gefallen hat:

Es gibt einen Punkt an diesem Buch, den ich  nicht verstehe. Cornelia Funke hat für die Geschichte von Jon die Ich-Perspektive gewählt, die die Erzählung aus der Gegenwart in der Vergangenheit reflektiert. Trotzdem hat sie bei einigen Gedankengängen immer wieder Teile der Erzählung in Klammern gesetzt. Das hat mich beim Lesen ehrlich gesagt gestört. Diese Einwände in Klammern, hätten dem Fließtext keinen Abbruch getan, da er, wie gesagt, in der Ich-Form geschrieben wurde. Klammern haben in Geschichten meiner Meinung nach nichts zu suchen, unterbrechen sie doch fortlaufend den Lesefluss.

Gestaltung:

Das Buch wartet nicht nur mit einem tollen Cover auf, auch mit der Gestaltung des Inneren wurde sich viel Mühe gegeben. Der Text ist auf reinweißen Seiten gedruckt, sodass die Illustrationen besonders gut zur Geltung kommen. Jeder Kapitelüberschrift  ist ein Ausschnitt aus den ganzseitigen, teils doppelseitigen Illustrationen von Friedrich Hechelmann beigefügt, dessen Gesamtwerk sich beim Lesen offenbart. Während mir der traditionell wirkende Zeichenstil hier und da eher nicht gefiel, muss ich dennoch ein Lob für die Zeichnungen aussprechen, die sich um das „Geisterhafte“ im Buch drehen. Diese finde ich, entgegen den „normalen Szenen“ sehr stimmungsvoll umgesetzt.
Mit diesen Illustrationen, dem hochwertigen Druck und dem festen reinweißen Papier rechtfertigt sich auch der Preis von 16,95 Euro für 238 Seiten.

Wertung:

Die Lesefluss beeinflussenden Klammern berücksichtigend, sowie den Fakt, dass ich Jon seine elf Jahre nicht ganz abnehmen kann, aber die Geschichte wirklich spannend und die Charaktere toll fand, sich so viel Mühe mit der Gestaltung gegeben wurde und die Qualität des Buches einfach überzeugend ist, vergebe ich 4 Lila-Lesesterne an die „Geisterritter“.