Rezension

Ein guter Jugendthriller

Singe, fliege, Vöglein, stirb - Janet Clark

Singe, fliege, Vöglein, stirb
von Janet Clark

Bewertet mit 4 Sternen

Rezensionen ursprünglich erschienen auf kopf.kino
 

Was passiert

Letzte Woche hatte ich noch ein Leben. Einen Job. Einen Freund.
Vor fünf Minuten hatte ich zumindest Hoffnung.
Jetzt habe ich nur noch Angst.

Seit Ina die Leiche einer getöteten Mitschülerin gefunden hat, läuft ihr Leben mehr und mehr aus dem Ruder. Weil sie ihren Freund Aaron, der wegen der Tat befragt wird, vehement gegen die Anschuldigungen verteidigt, zieht ein riesiger Shitstorm über sie und ihre Familie hinweg. Dann wird sie plötzlich selbst des Mordes verdächtigt. Und zu allem Überfluss taucht wie aus dem Nichts ein Freund von früher auf, der eine alte Schuld einfordert. Bald versinkt Ina in einem Netz aus Lügen und kann niemandem mehr trauen – nicht einmal Aaron.

© Loewe Verlag & Janet Clark

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Was ich denke

Wir werden gleich auf der ersten Seite direkt ins Geschehen geworfen: eine zutiefst verängstigte Ina krabbelt am Waldboden herum, um von jemanden weg zu kommen. Immer wieder ruft er nach ihr, sagt, dass sie ihm vertrauen muss, doch Ina sieht gar nicht ein, seiner Bitte zu folgen. Viel mehr entfernt sie sich immer weiter von ihm um dann endgültig zu fliehen.

- Cut -

Sieben Tage vorher beginnt die eigentliche Geschichte. Ina und Aaron sind ein glückliches Paar, er studiert, sie macht ein soziales Jahr im örtlichen Tierheim. Ihre Leben verlaufen geregelt, zumindest bis zu dem Tag, an dem das Versuchslabor eines großen Unternehmens angezündet wird und sich Casey, die Tochter des Besitzers, bei Aaron, ihrem Nachhilfelehrer, ausheult. Ina ist ‘Schneewittchen’, wie sie das Mädchen nennt, schon länger ein Dorn im Auge, denn es ist ganz offensichtlich, dass ihr Interesse an dem jungen Mann über chemische Formeln und Elemente hinaus geht. Es kommt sogar zu einer Eifersuchtsszene, als Ina die beiden bei einem Gespräch erwischt, das von außen sehr intim aussieht. Tja, und dann findet ausgerechnet sie auch noch ein paar Tage später die Leiche von Casey. Erdrosselt. Sofort gerät Aaron ins Visier der Ermittler, kurz darauf Ina selbst.

Mir hat der Einstieg in Singe, fliege, Vöglein, stirb super gefallen. Ich mag es, wenn man direkt in einen wichtigen Teil der Handlung geworfen wird und dann im Nachhinein erst erfährt, wie es eigentlich dazu kommen konnte. Für mich erhöht das die Spannung beim Lesen, denn man fragt sich die ganze Zeit, was in gerade einmal sieben Tagen passieren konnte, dass eine junge Frau ihrem Freund dermaßen misstraut bzw. sogar Angst vor ihm hat.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Ina und Aaron jeweils in Ich-Perspektive erzählt. Dadurch weiß der Leser immer ein bisschen mehr als die beiden Protagonisten, denn während man beide Seiten kennt, müssen sie sich ihre Wahrheit selber zusammen reimen – was nicht unbedingt gut läuft ;) Was mir auch super gefallen hat, ist, dass von Anfang an immer wieder kleine Andeutungen (in Bezug auf die Charaktere, ihre Beziehungen untereinander und Geschehnisse aus der Vergangenheit) gemacht werden, aber niemals die ganzen Zusammenhänge klar werden. Da hat man gleich noch mehr Punkte, über die man grübeln kann.

Singe, fliege, Vöglein, stirb hatte mich wirklich von der ersten Sekunde an. Ich konnte mich in die Geschichte reinfallen lassen und habe Seite für Seite mitgefiebert und -gerätselt. Der Schreibstil von Janet Clark ist dem Alter der Leser entsprechend und lässt sich flüssig und angenehm lesen. Das Einzige, was mir persönlich nicht so ganz gefallen hat, ist, dass Aaron anscheinend einen Mangel an Es in seinem Wortschatz hat. Wenn die Geschichte aus seiner Sicht erzählt wird, benutzt er grundsätzlich keine Es am Ende seiner Verben, also z.B. “ich heb den Pullover auf, schmeiß ihn in den Wäschekorb und greif das nächste Teil”. Ich finde, bei manchen Wörtern ist das okay, aber auf die Dauer hat mich das echt gestört; es war einfach unvollständig und unterbricht auch irgendwie den Lesefluss. Aber tatsächlich ist das der einzige Kritikpunkt, den ich hier anbringen kann.
Die Geschichte ist so aufgebaut, dass man im Grunde andauernd seine Meinung zur Unschuld der vielen Verdächtigen ändert. Ich muss sagen, dass ich schon sehr früh einen Kandidaten hatte, aber letztendlich kann es fast jeder gewesen sein und die Fakten drehen sich ständig, so dass man zwischendurch immer wieder zweifelt. Das ist einer der Dinge, die für mich einen guten Krimi oder Thriller ausmachen: das mitdenken, wundern und dann doch wieder verwerfen von Theorien. Und das hat Janet Clark drauf, so viel steht fest ;)
Im Übrigen war mein Verdächtiger es letztendlich tatsächlich! Call me Sherlock! :D
Das Ende kam daher für mich nicht ganz überraschend, wobei ich das Motiv doch irgendwie etwas weit her geholt fand. Ich kann es zwar weitestgehend nachvollziehen, aber es war nicht vollkommen erfüllend. Tatsächlich ist das aber auch – neben Aarons Erzählstil – der einzige Minuspunkt in meinen Augen.
Denn auch die Charaktere haben mir gefallen. Im Mittelpunkt stehen natürlich Ina und Aaron, die beide realistisch dargestellt sind. Vor allem ihre Reaktionen und Handlungsweisen nachdem sich die Polizei sich auf sie eingeschossen hat, finde ich vollkommen nachvollziehbar. Aber auch die Nebencharaktere empfand ich als ansprechend und gut ausgearbeitet. Vor allem, weil irgendwie alle eine dunkle Vergangenheit bzw. einen dunklen Punkt in eben dieser zu haben scheinen.

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Schlusswort

Singe, fliege, Vöglein, stirb von Janet Clark ist ein gelungener Jugendthriller, der mich über die komplette Strecke unterhalten und fesseln konnte. Die Geschichte lässt einen miträtseln und lädt dazu ein, eigene Theorien aufzustellen, nur um sie dann wieder zu verwerfen. Ein rundum gelungenes Buch mit angenehmen Schreibstil und sympathischen Charakteren. Eine ganz klare Empfehlung für Fans des Genres.