Rezension

Ein Inder, der für seine Liebe alles überwand

Vom Inder, der mit dem Fahrrad bis nach Schweden fuhr um dort seine große Liebe wiederzufinden - Per J. Andersson

Vom Inder, der mit dem Fahrrad bis nach Schweden fuhr um dort seine große Liebe wiederzufinden
von Per J. Andersson

Bewertet mit 5 Sternen

Per J. Andersson hat mit "Vom Inder, der mit dem Fahrrad bis nach Schweden fuhr, um dort seine große Liebe wiederzufinden" mehr eine Biografie als einen Roman verfasst.

Es ist die Lebensgeschichte des "Unberührbaren" Pikay. Dieser wächst in einem kleinen indischen Dorf namens Orissa auf, das unmittelbar an den wilden Dschungel anschließt, weshalb er später auch "Dschungelkind" genannt wird. Seine Mutter ist eine talentierte Zeichnerin und stammt von den sog. Waldmenschen ab. Durch sie wird er an die Kunst herangeführt. Da er seine Geschwister und seinen Vater, der Postangestellter ist, nur am Wochenende sieht, ist sein Verhältnis zur Mutter umso inniger. 

Als Angehöriger der untersten Kaste hat er es als Kind nicht leicht. Er darf nicht mit den Mitschülern spielen, nicht im gleichen Klassenraum sitzen und auch keinen Tempel aufsuchen. Denn er gilt als unrein und jede Berührung eines anderen Kastenmitglieds geht mit einer gründlichen Waschung einher.
Schon damals fühlt er sich ausgegrenzt und ungerecht behandelt, er verflucht sein Dasein. 
Für ihn stellt das Kastensystem eine "unheilbare Krankheit"(S. 72) dar.
Nur Westeuropäer bzw. tolerante Kunstschaffende respektieren ihn und lassen ihn so das "normale Leben" erfahren.

Erst als er in Neu-Delhi das Art College besucht, fühlt er sich angekommen. Doch Selbstzweifel bleiben und täglich muss er neu ums finanzielle Überleben kämpfen. Suizidversuche scheitern. 

Als er am persönlichen Tiefpunkt angelangt ist, hilft ihm das Schicksal. Er, der sog. "Springbrunnenkünstler, der gern am Stadtbrunnen sitzt und Passanten für 10 Rupien zeichnet, erhält nun Zeichenaufträge von höchster Ebene. So porträtiert er u.a. die Premierministerin Indira Gandhi.
Mit dem beruflichen Erfolg stellt sich endlich auch das private Glück ein. 
Als er 1975 in Neu-Delhi die Schwedin Lotta zeichnen soll, scheint seine Kindheitsprophezeiung wahr zu werden. Nun trifft er die Frau seines Lebens, die nicht nur aus einem anderen Land und musikalisch ist, sondern auch im Sternzeichen Stier geboren wurde. 
Doch die abenteuerlustige Lotta muss erst einmal wieder zurück in ihre schwedische Heimat. Obwohl man sich liebt, stehen die Zeichen auf Trennung auf unbestimmte Zeit.
Pikay kann aber ohne seine Lotta nicht leben und beschließt, zu ihr zu reisen. Weil das Flugticket zu teuer ist, fährt er mit dem Fahrrad von Neu-Delhi bis nach Boras, Lottas Heimatort. Sechzehn Monate dauerte seine ereignisreiche Reise, die ihn u.a. entlang des Hippie Trails führt und viele wertvolle Bekanntschaften schließen lässt. 

Meinung
Dieses Buch hat mich umgehauen. Warum?
Die Geschichte von Pikay wird so ehrlich, so ungeschönt erzählt, dass man als Leser mit dem Protagonisten einfach nur mitfühlt.
Pikays Willenstärke und Menschlichkeit sind einfach nur bewundernswert. Er widersetzt sich seinem Schicksal als "Ausgestoßener" der indischen Gesellschaft auf eindrückliche Weise. Zudem hat er immer gute Freunde, Bekannte an seiner Seite gehabt, die ihn auf seiner Reise nach Schweden unterstützten. Und er glaubt an die wahre Liebe und will diese unbedingt leben – das ist zu schön, um wahr zu sein.

Zudem erhält der Leser mithilfe dieses Buchs einen unmittelbaren Einblick in das indische Kastensystem und dessen Ungerechtigkeiten. Mich haben die Diskriminierungen, die Pikay erleiden musste, sehr mitgenommen. 

Auch die politische Lage in Indien nach der Unabhängigkeitserklärung wird beleuchtet. Als besonders informativ empfand ich die Ausführungen über Indira Gandhis Reformversuche. Kurzum, man lernt viel über die indische Geschichte.

Pikays Reise nach Schweden nimmt ungefähr das letzte Drittel des Buches ein. Sie wird m. E. ausführlich genug beschrieben. Hierbei hat mir besonders Pikays unbekümmerte, offene Art gegenüber Fremden imponiert. Mithilfe seines zeichnerischen Talents konnte er selbst in Gegenden, dessen Sprache er nicht beherrschte, bestehen und damit Kost und Logis finden. Auch die Beschreibungen der einzelnen Völker und deren Gastfreundlichkeit fand ich sehr aufschlussreich. Besonders nachdenklich hat mich Pikays Einschätzung der Europäer gemacht, die er für regelkonforme, kalte Menschen hält.

Mich hat die Tatsache nicht gestört, dass der Autor Pikays Lebensgeschichte erzählt und nicht vordergründig die Geschichte einer großen Liebe, wie es auf der Buchrückseite steht. Sicher kommen für einige Leser die Liebesgeschichte und auch die Schilderung der Reise etwas zu kurz, dies tut diesem vielschichtig informativen Buch keinen Abbruch. Manchmal mutet dieses Buch ein wenig wie ein Märchen an, aber das ist dem religiösen Gegebenheiten und dem indischen Sprachstil geschuldet.

Lieblingszitate:
"Kein Mensch ist so wenig wert, dass er den Tod verdient [...]." (S. 28)

"Seine Identität als wertloser Mensch wurde schließlich sein Glück. Ohne die Minderwertigkeitsgefühle wäre er niemals Künstler geworden. Das Außenseitertum wurde zur Turbine, die ihn vorwärts, nach oben und aus seiner Vorstellungswelt heraustrieb." (S. 283)

Fazit
Ich kann dem Svenska Dagbladet nur zustimmen, denn „Pikays Lebensgeschichte ist ein großartiger Pagesturner.“